Anfang März lud das Bundesministerium für Bildung und Forschung zur digitalen Fachtagung „Green ICT 2023 – Nachhaltige Informations- und Kommunikationstechnologien“ ein. Im Vorfeld dieser Konferenz sprach RealIZM mit Dr. phil. Lutz Stobbe, Leiter des Projekts „Green ICT @ FMD“ am Fraunhofer IZM, darüber, wie digitale Technologien in Zukunft grüner werden können.
Unter Leitung der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (FMD) kooperieren seit Sommer 2022 verschiedene Fraunhofer- und Leibniz-Institute standortübergreifend bei dem BMBF-Forschungsprojekt „Green ICT @ FMD“. Das Projekt verfolgt das Ziel, mit Forschung und Entwicklung zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks digitaler Technologien in Deutschland und Europa beizutragen.
Das Projekt „Green ICT @ FMD“ ist überschrieben mit dem Claim Kompetenzzentrum für ressourcenbewusste IKT. Welchen konkreten Beitrag liefert das Fraunhofer IZM, um Elektronik so energie- und ressourceneffizient wie möglich gestalten zu können?
Dr. phil. Lutz Stobbe: Die beteiligten Fraunhofer-Institute entwickeln in der Regel neue Technologien, Features und Prozesse, die intrinsisch schon energieeffizienter sind. Bei dem Projekt „Green ICT @ FMD“ besteht die Aufgabe darin, die technische Expertise der Fraunhofer-Institute aus ökologischer Sicht zu bewerten und darzustellen.
Statt neue Prozesse und Systeme zu entwickeln, werden die existierenden Technologien sowie die Labor- und Testmöglichkeiten in Bezug auf das Thema Energie- und Ressourceneffizienz untersucht. Ziel ist es, die technische Entwicklung mit einer Umweltbewertung zu kombinieren. Eines der großen Projektziele ist, ein System-Modell für die ökologische Bewertung von Elektronik abzuleiten.
„Grün“ ist nur das, was nachweislich „grün“ ist. D.h. man muss Dinge quantifizieren können. Um den CO2-Fußabdruck langfristig und nachhaltig zu reduzieren, müssen wir in der Produktion genau messen und verstehen, wo und wie Energie und auch Ressourcen noch effizienter einzusetzen sind.
Statt wie bisher nur auf die Fortschritte bei der technischen Entwicklung zu fokussieren, ist es unser Ziel, auch deren Umweltwirkungen zu bewerten und genau zu quantifizieren. Wenn es uns gelingt, mit einer vereinfachten Ökobilanz aufzuzeigen, wie sich technischer Fortschritt bei Projekten in Bezug auf den ökologischen Fußabdruck auswirkt, dann wissen wir auch, wie „grün“ Technologien sind.
Von wem soll das System-Modell zur Umweltbewertung von Elektronik eingesetzt werden?
Dr. phil. Lutz Stobbe: Wir beobachten aufseiten der Industrie eine zunehmende Nachfrage nach Tools und Kompetenzen, mit deren Hilfe neutral und präzise Berechnungen durchgeführt und eine Vergleichbarkeit geschaffen werden kann. Die Unternehmen stehen vor der Herausforderung bei (neuen) Produkten die Umwelteigenschaften im Rahmen von Umwelt-Labels und auch gesetzlichen Anforderungen wie z.B. die Europäische Öko-Design-Richtlinie nachzuweisen.
Dieser Nachweis muss zugleich ökonomisch erschwinglich sein. Es wäre viel zu aufwendig, wenn jedes Unternehmen – vor allem kleine mittelständische Betriebe – eigene Methoden und Verfahren entwickelt und Testlabore vorhält. Mit dem Kompetenzzentrum für ressourcenbewusste IKT soll daher ein Angebot geschaffen werden, das diese Expertise zur Verfügung stellt und mit der Bewertung der Ökobilanz auch Anregungen gibt, wie man Sachen noch besser machen kann. Die Ökobilanzierung ist ein wichtiger Schritt hin zum Öko-Design und zur Verbesserung des Produktes.
Wie wird der Wissenstransfer von der Theorie zur praktischen Anwendung aufseiten der Industrie in diesem Projekt sichergestellt?
Dr. phil. Lutz Stobbe: Die Fraunhofer-Gesellschaft steht für angewandte Forschung und interagiert immer sehr eng mit der Industrie und Projektpartnern. Themen, Fragestellungen und Herausforderungen unserer Partner werden durch unsere Forscher*innen aufgenommen und adressiert. Die Projektstruktur bei „Green ICT @ FMD“ ist daher so angelegt, dass Unternehmen frühzeitig für sogenannte Referenzprojekte einbezogen werden.
Die Industriepartner sind eingeladen, anhand von konkreten Beispielen die Expertise und Testbeds auszuprobieren und Bewertungen zu machen. Mit diesem Ansatz wird getestet, ob das Angebot, das wir später global zur Verfügung stellen wollen, auch funktioniert und ausgereift ist. Hinzu kommt ein Beraterkreis, bestehend aus Unternehmensvertreter*innen, die langjährige Erfahrung mit dem Thema Ökobilanzierung haben und aus der Praxis heraus Hinweise geben können.
Gemeinsam mit den Projektpartnern analysiert und bewertet das Fraunhofer IZM die Ökobilanz elektronischer Produkte sowie IKT-Infrastrukturen in den drei Bereichen: Sensor-Edge-Cloud, energiesparende Kommunikationsinfrastrukturen und ressourcenoptimierte Elektronikproduktion. Wie kam es zur Auswahl genau dieser drei Themenschwerpunkte?
Dr. phil. Lutz Stobbe: Um dieses große Themenfeld IKT adressieren zu können, haben wir uns zunächst den unmittelbaren Bedarf in Deutschland angesehen. Laptops, Monitore, Fernseher kommen heute überwiegend aus Asien. Sensoren, die u.a. in Fertigungsbetrieben, im Maschinen- und Fahrzeugbau und in der Logistik eingesetzt werden, stammen aus Deutschland bzw. Europa.
Sensoren sind wichtige Datenquellen, die zum Teil autark und somit energieeffizient arbeiten und zugleich über eine gewisse Intelligenz (= Sensor Edge Cloud) verfügen. Die Sensordaten werden aggregiert, (vor-) auswertet und geben erste Feedbackloops, um z.B. eine Aktorik zu bedienen. Dieses Thema ist aus unserer Sicht sehr stark in der deutschen Fertigungs- und Elektronikindustrie, die Produkte herstellt, präsent. Es lag daher nahe, dass wir uns auf das Forschungsthema Sensor Edge Cloud fokussieren.
Der zweite Forschungsschwerpunkt ist der Bereich Kommunikationsinfrastruktur. Wir beobachten, dass viele Endgeräte immer noch Daten direkt verarbeiten und speichern. Fakt ist aber auch, dass sich viele dieser Informationen deutlich effizienter in großen Rechenzentren rechnen lassen. Dort können Distanzen abgebaut und Dinge aggregiert werden. Für diese sogenannte Virtualisierung sind sehr potente Kommunikationsnetze nötig. Experten schätzte, dass in Rechenzentren heute mehr als 70 Prozent aller digitalen Daten prozessiert und gespeichert werden.
Das dritte zentrale Forschungsthema ist die ressourceneffiziente Elektronikproduktion. In der Vergangenheit wurde vor allem auf den Stromverbrauch der Geräte geschaut. Bei kleinen elektronischen Produkten wie z.B. Smartphones, stellt jedoch nicht deren Stromverbrauch die größte Umweltlast dar, sondern deren Herstellung und die darin verbauten Halbleiter. Bei der Herstellung eines heute durchschnittlichen Smartphones beträgt der ökologische Fußabdruck zirka 70 kg CO2 und in der Nutzungsphase weniger als 10 kg CO2. D.h. über 80 % der Umweltwirkung geht auf die Herstellung des Produktes zurück. In ähnlicher Weise verhält es sich bei allen IKT-Geräten, die relativ wenig Energie (< 20 Watt) aufnehmen.
Bei großen Telekommunikationssystemen und Servern haben Speicherchips zum Beispiel eine immense Umweltwirkung. Zum einen müssen sehr große Flächen an Halbleitern produziert werden. Zum anderen sind für die Herstellung von Halbleitern Reinräume, Materialien, Sonder-Chemikalien und technische Gase notwendig, die wiederum Immissionen – klimaschädliche Emissionen – freigeben können. Die Halbleiter-Produktion hat eine sehr hohe Umweltwirkung.
Wenn sich das Projekt auf den Anfang der Herstellungskette fokussiert, wo konkret fängt diese an?
Dr. phil. Lutz Stobbe: Richtig, wir fangen vorne an. In meiner Arbeitsgruppe Sustainable Networks and Computing haben wir eine 5-K-Methode entwickelt, die wir jetzt auch sukzessive den Kollegen*innen in der Fraunhofer-Gemeinschaft vermitteln.
Es handelt sich um einen Leitfaden, wie man Umweltbewertungen durchführen und später auch optimieren kann. Der 5-K-Leitfaden unterstützt sowohl bei der ökologischen Bewertung eines Systems als auch bei der gezielten Analyse, was verbessert werden kann.
Zunächst wird die Kapazität des Gerätes ermittelt: Welche Performance und Leistung sollen erreicht werden? Die Idee dabei ist, den Anwendungsfall so genau wie möglich zu definieren und somit zu vermeiden, dass Geräte überdimensioniert sind. Ein Gerät sollte nicht mehr können als es eigentlich machen soll.
Dann wird geprüft, unter welchen räumlichen, klimatischen und nutzungsbezogenen Randbedingungen (Konditionen) das System zum Einsatz kommen soll: Was ist das Lastprofil? Ist der Produktlebenszyklus auf ein einmaliges Ereignis oder auf eine Zeitdauer von fünf oder zehn Jahren ausgelegt? Ist es erforderlich, das Gerät modular aufzubauen, so dass bei Bedarf Teile ausgetauscht werden können?
Erst an dritter Stelle wird die Konfiguration beleuchtet: Was sind die Hauptelemente eines Produktes und wie interagiert das Produkt mit der Infrastruktur? Gibt es zum Beispiel einen Link zu einer Funkstation? Diese Konfiguration – Systemarchitektur – muss und kann gezielt geplant werden. Wir berücksichtigen bei Funksystemen, welches Link-Budget erreicht werden muss, um die Sendeleistung präzise zu bestimmen.
An vierter Stelle stehen die Komponenten eines Produktes: Hardware-Komponenten, die elektrischen Strom aufnehmen und aus Materialien gefertigt werden müssen, und Software-Komponenten, die das Ein- und Ausschalten ermöglichen und das Energiemanagement steuern.
Das fünfte K steht für Kontrolle. Darunter verstehen wir einerseits den operativen Betrieb und das Power-Management. Andererseits stellen wir auch die Kontrollfrage, welche neuen möglichen Einsatzszenarien wären durchzurechnen. Wir verstehen das als Sensitivitätsanalyse.
Das Projekt „Green ICT @ FMD“ läuft bis 2026. Welche konkreten Aktivitäten wurden bereits umgesetzt und sind innerhalb des ersten Jahres geplant?
Dr. phil. Lutz Stobbe: Der Schwerpunkt unserer Aktivitäten in diesem Jahr ist die Wissensvermittlung. Wir haben daher Anfang dieses Jahres für alle Fraunhofer-Kolleg*innen drei Workshops angeboten, in denen wir die theoretischen Grundlagen der Ökobilanzierung vermittelt haben. Ferner haben wir aufgezeigt, wie man eine vereinfachte Umweltbewertung für die Herstellungs- und auch die Nutzungsphase eines IKT-Produktes durchführen kann: welche Daten müssen erfasst und zusammengestellt werden, welche Herausforderungen ergeben sich dabei und welche Informationen erhält man (nicht) aus Datenbanken? Dieses Weiterbildungsangebot ist auf sehr großes Interesse gestoßen und wir haben sehr gutes Feedback erhalten.
Zudem macht das Fraunhofer IZM die Begleitforschung für alle anderen Green-ICT-Projekte des BMBF. Den Projektverantwortlichen vermitteln wir derzeit in einer Workshop-Reihe, wie eine Umweltpotenzialanalyse durchzuführen ist. Ferner sind wir mit der Realisierung einer Umweltpotenzialanalyse für Deutschland beauftragt. Hierzu sollen wir einen 10-Jahres-Ausblick geben, wie entwickelt sich die IKT marktbezogen in Deutschland: welchen CO2-Fußabdruck hat die IKT angefangen von den Endgeräten wie Smartphones und Laptops über die Telekommunikationsnetze und Rechenzentren bis hin zu Industrieanwendungen? (Anmerkung der Redaktion: Seit Oktober 2023 liegen erste Erkenntnisse für zukünftige IKT-Einsparpotenziale vor.)
Von großem Interesse ist dabei, wie groß ist das Verhältnis des ökologischen Fußabdrucks zwischen dem Herstellungsprozess und der Nutzungsphase ist. Wir wollen herausfinden, wo eigentlich die Schwerpunkte liegen. Ziel ist aufzuzeigen, wo und was möglicherweise verbessert werden kann. Hierzu modellieren wir Daten und können auf Erfahrungen aus vergangenen Projekten aufbauen. Zusätzlich sind wir dabei, verschiedene Lehr- und Lernvideos zu erstellen und eine Studierenden-Akademie aufzubauen.
Ab 2024 werden wir gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Green ICT @ FMD ein Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramm anbieten.
Zudem stehen wir in engem Austausch mit unseren eigenen Fachabteilungen. Dort beginnen wir mit dem Aufbau des Testbetriebes: welche Laborinfrastruktur gibt es, mit welchen Komponenten und Materialien wird gearbeitet, wie können dort Messtechniken und Umweltbewertungen sinnvoll integriert werden? Mittelfristig bauen wir bei Fraunhofer eine Umwelt- und Ökobilanz-Datenbank auf, so dass zukünftig die Bewertung eines Prozesses, eines Produkts und einer Technologie schneller geht. Ziel ist, auf belastbare Daten zurückgreifen zu können und nicht jedes Mal, das Rad neu zu erfinden.
Blogbeitrag wurde am 14. März 2024 aktualisiert.
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