RealIZM-Blog-Serie »Green ICT« – Teil 2
Beim Strombedarf der IKT zeichnet sich aktuell eine Trendwende ab. Nach Berechnungen des Fraunhofer IZM steigt der jährliche Strombedarf der IKT seit 2023 von ca. 50 TWh auf über 72 TWh in 2033 wieder an. In einer aktuellen Studie modellieren Dr. phil. Lutz Stobbe und sein Team die umweltbezogenen Auswirkungen bei der Herstellung und Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Deutschland über einen Zeitraum von 2013 bis 2033. Auftraggeber der IKT-Studie ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Steigender Energiebedarf und Carbon Footprint bei der Nutzung von IKT
Die Studie des Fraunhofer IZM zum Energiebedarf und Carbon Footprint bei der Herstellung und Nutzung von Haushaltsendgeräten, Rechenzentren und Telekommunikationsnetzen entsteht im Rahmen des Verbundprojektes »Green ICT @ FMD«. Die IKT-Studie zeigt, dass trotz des Fortschritts in den Bereichen der Miniaturisierung, Systemintegration und Energiemanagements und der Verbesserung des Energiemixes der steigende Strombedarf in der Nutzungsphase von IKT den Carbon Footprint (CF) weiter in die Höhe treibt.
- Der jährliche Energiebedarf von IKT in Deutschland steigt von ca. 50 TWh (2023) auf ca. 72 TWh (2033) an.
- Der jährliche Carbon Footprint der Herstellung und Nutzung von IKT in Deutschland steigt im konservativen Energiemixszenario von rund 30 Mio. tCO2e in 2023 auf 38 Mio. tCO2e in 2033 an. Sollten die Ziele des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland erreicht werden, würde sich diese Entwicklung deutlich ändern und der Carbon Footprint in 2033 auf unter 20 Mio. tCO2e absinken.
Der Strombedarf der Endgeräte in Haushalten betrug 2013 ca. 19 TWh und dominierte die Gesamtemissionen der Nutzungsphase (60%). Der Strombedarf war in den folgenden Jahren rückläufig und nahm bis 2023 auf ungefähr 13 TWh ab. Die Ursachen für diesen positiven Trend sind vielfältig. Einen substantiellen Einfluss haben die Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Ökodesign-Richtlinie, die u.a. Grenzwerte für Standby und die maximale elektrische Leistungsaufnahme für viele Produktgruppen festlegt. Dieser legislative Druck bewirkte sicherlich auch eine dementsprechende Technikentwicklung. Schließlich vollzog sich auch der Wandel zur fast vollständigen Digitalisierung in der Unterhaltungselektronik, was den Strombedarf reduzierte.
Trotz dieser Maßnahmen wird mittelfristig der Strombedarf der IKT in Haushalten wieder leicht auf etwa 15 TWh in 2033 ansteigen. Größere Displays und Fernseher mit sehr hoher Auflösung und Bildwiederholrate, leistungsfähigere Computer und die drahtlose Vernetzung smarter Endgeräte tragen zu diesem Trend bei. Kleinere IKT-Produkte wie Smartphones, Smartwatches und Lautsprecher erzeugen trotz hoher Stückzahl einen vergleichsweise geringen Stromverbrauch.
Auch hinsichtlich des Carbon Footprints bei der Herstellung dieser Endgeräte ist mittelfristig mit einem Anstieg von heute unter 7 Mt CO2e auf etwa 9 Mt CO2e in 2033 zu rechnen. Die Ursachen dieser negativen Entwicklung sind vielfältig. Die in Reinräumen stattfindende Herstellung von Integrierten Schaltkreisen (ICs) und Displays sind eine wesentliche Ursache. Mit wachsenden Speichermengen und größeren Displays werden trotz technologischer und fertigungstechnischer Fortschritte der Ressourcenbedarf, Energieaufwand und die direkten Emissionen weiter steigen. Eine Einflussnahme auf diese Entwicklung ist aus deutscher Sicht schwierig, da fast die gesamte Zulieferkette im asiatischen und amerikanischen Ausland liegt. Die Nutzung erneuerbarer Energien in Komponentenfertigung könnte leicht zu einer positiven Trendwende führen. Im Modell wurde ein solches Szenario aber noch nicht berechnet.
Von konservativ bis ambitioniert: Szenarien für eine nachhaltige CO2-Reduzierung
Für die Berechnung des CO2-Fußabdrucks der Nutzungsphase wurden drei Szenarien mit unterschiedlichen Annahmen zur Entwicklung des deutschen Energiemixes berechnet:
– Szenario 1: Eine konservative Entwicklung mit einer stufenweisen Absenkung des Strommixes von 434 gCO2e/kWh (2022) auf 380 gCO2e/kWh (2030)
– Szenario 2: Eine progressive Entwicklung zur Erreichung der Klimaschutzziele der Bunderegierung mit einer stufenweisen Absenkung des Strommixes von 434 gCO2e/kWh (2022) auf 280 gCO2e/kWh (2030)
– Szenario 3: Eine ambitionierte Entwicklung zur Umsetzung der Energiewende mit einer stufenweisen Absenkung des Strommixes von 434 gCO2e/kWh (2022) auf 145 gCO2e/kWh (2030)
Der Haupttreiber beim Anstieg des Stromverbrauchs ist die IKT-Infrastruktur, d.h. die Telekommunikationsnetze und Rechenzentren, die den Großteil der Digitalisierung tragen. Der Energiebedarf der Rechenzentren wächst seit 2013 kontinuierlich von 7,5 TWh (2013) über 15 TWh (2023) auf 27 TWh (2033). Betrug der Carbon Footprint der Rechenzentrumsnutzung im Jahr 2013 etwa 4,3 tCO2e, so steigt er im konservativen Szenario auf ca. 10,3 tCO2e (2033) an.
Rechts: Diese Grafik bildet den Strombedarf in der Nutzungsphase ab und zeigt, dass dieser für Rechenzentren und die Telekommunikation seit 2020 ansteigt. | © Fraunhofer IZM *Stand 4/2024: Modellversion ICT_CF_D_Mod_24-2
Aufgrund internetbasierter Dienste und durch den zunehmenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellen Lernens (ML) werden in den Rechenzentren immer leistungsstärkere Prozessoren, Arbeits- und Langzeitspeicher benötigt, deren Betrieb und Kühlung den Energiebedarf steigen lassen.
Lag der Strombedarf von Prozessoren in der Vergangenheit bei etwa 150 Watt, benötigen moderne Prozessoren mit vielen Kernen und superschnellen Taktfrequenzen für KI- und ML-Anwendungen etwa 300 und bis zu 700 Watt. Auch der schnell wachsende Bedarf an Arbeitsspeicher erzeugt mittelfristig einen sichtbaren Stromverbrauch. Schließlich müssen die Rechnersysteme in den Rechenzentren auch untereinander vernetzt und an die Außenwelt angeschlossen werden. Diese Notwendigkeit führt zu einem Ausbau der Datentransportkapazitäten von Switchen, Routern und Gateways. Diese aktuelle Entwicklung wird auch beim Strombedarf mittelfristig sichtbar und trägt zum Anstieg bei.
Die Umweltwirkung der Telekommunikationsnetze nimmt im Vergleich zu den Rechenzentren weniger stark zu, allerdings ist auch hier ein langfristiges Wachstum des Strombedarfs klar sichtbar. Die sukzessive Modernisierung der Telekommunikationsnetze gleicht bislang viele negative Effekte des jährlich steigenden Datentransportvolumens aus. Prognosen für die Entwicklung des Datenverkehrs sind sehr heterogen. Einerseits zeigt die statistische Entwicklung, welche von der Bundesnetzagentur jährlich veröffentlicht wird, weiterhin sinkende Wachstumszahlen und damit eine leichte Verlangsamung des Anstiegs des Datenvolumens. Gleichzeitig kann mit nur großer Unsicherheit abgeschätzt werden, wie sich beispielsweise hochauflösenden Ultra-HD-Videostreams, eine massive KI-Nutzung durch Endnutzer*innen und ML-basierte Clouddienste auf den Datenverkehr auswirken.
Die Telekommunikationsnetze werden auf Peak-Performance ausgelegt, um die Übertragung von gleichzeitig stattfindende Großevents wie eine Fußballweltmeisterschaft und aktuelle politische Entwicklungen netztechnisch sicherstellen zu können. Diese intrinsische Überdimensionierung der Telekommunikationsnetze bewirkt, dass Lastschwankungen beim Strombedarf der Netze kaum sichtbar werden. Deutlich erkennbar ist aber der Ausbau von 4G- und 5G-Mobilfunknetzen. Die damit einhergehende Netzverdichtung wird durch einen steigenden Energiebedarf sichtbar.
Der Strombedarf der Netze belief sich im Jahr 2013 auf rund 5,2 TWh. Seitdem wächst er langsam: 8,4 TWh (2023) und 10,3 TWh (2033). Nach vorläufigen Berechnungen steigt der Carbon Footprint der Nutzungsphase der Telekommunikationstechnik nur sehr leicht von 3 Mio. tCO2e (2013) auf 3,9 Mio. tCO2e (2033) an. Die Modellierung der Umweltwirkung der Telekommunikationstechnik ist noch nicht abgeschlossen.
Zunahme der Umweltwirkung von Kommunikationsnetzen, Servern und Rechenzentren
In ihrer Prognose kommen die Umweltexpert*innen des Fraunhofer IZM ferner zu dem Schluss, dass ein Drittel des Carbon Footprints aus der Herstellung der IKT resultiert. Die Produktion findet hauptsächlich in Asien statt und beschränkt den direkten Einfluss von Deutschland aus auf umweltpolitische Fragestellungen im Herstellungsprozess.
Diese Grafik zeigt die Entwicklung des Carbon Footprint für einzelne Teilbereiche wie z.B. Rechenzentren, sowie die Gesamt-CO2-Entwicklung in Abhängigkeit von Szenario 2 & 3. | © Fraunhofer IZM *Stand 4/2024: Modellversion ICT_CF_D_Mod_24-2
Die Hauptursachen für den steigenden CF in der Herstellungsphase sind:
- Der Bedarf an halbleiterbasierter Speicherkapazität (SSDs) und leistungsfähigeren CPUs mit viel DRAM nimmt zu. In der Folge vergrößert sich auch die Gesamtchipfläche in Rechenzentren, deren Erzeugung sehr umweltintensiv ist.
- Steigende Displaygrößen bei Smartphones, Laptops, Monitoren und Fernsehern führen zu einem hohen CF bei der Herstellung. Kleinere Gadgets wie Wearables, Kopfhörer und USB-Sticks besitzen einen relativ geringen CF in der Herstellungsphase. Diese Core Wearables beeinflussen jedoch aufgrund ihrer hohen Absatzmengen den CF der Herstellung aller in Deutschland verwendeten IKT.
- Der Umbau der Funk- und kabelgebundenen Zugangsnetze bestimmt primär den CF bei der Herstellung von Telekommunikationsnetzen. Für III-V-Halbleiter, Hochfrequenzmaterialien und spezielle passive Bauelemente fehlen LCA-Datensätze. Daher steht eine präzise Quantifizierung dieses Carbon Footprints noch aus.
Nachhaltige IKT: Von der Energieumstellung zur technologischen Veränderung
Die IKT-Studie liefert fundierte Informationen, um nachhaltige Entscheidungen für die Entwicklung von grüner Elektronik zu treffen. So tragen Forschungseinrichtungen und Hersteller*innen von Elektronikprodukten eine hohe Verantwortung bei der Entwicklung von qualitativ hochwertigen, zuverlässigen und nachhaltigen Technologien und Produkten. Zudem helfen die Aussagen über die Umweltauswirkungen der Elektronikherstellung Unternehmen und der Politik entscheidende Weichen für grüne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu stellen.
Auch Nutzer*innen können einen Beitrag leisten. Mit einigen wenigen Einstellungen wie z.B. der Anpassung der Auflösung und die Reduzierung der Helligkeit bei Bildschirmen ist es möglich, Strom zu sparen und den CO2-Fußabdruck zu verringern, erklärt Dr. phil. Lutz Stobbe:
Die Rechenzentren sind die treibende Kraft hinter dem erhöhten Energiebedarf der IKT. Aber auch kleine Änderungen beim eigenen Nutzungsverhalten können zur Erreichung der Klimaschutzziele beitragen. Eine gewisse Datenhygiene und bewusste Minimierung des täglichen digitalen Speichervolumens reduzieren beispielsweise den Speicherbedarf in der Cloud, da hier die meisten Daten mehrfach redundant gesichert werden.
Den eigenen Umgang mit digitalen Medien und Diensten umzustellen, ist erst der Anfang. Um IKT langfristig nachhaltig zu gestalten, müssen auch technologische Veränderungen stattfinden. Eine aktuelle Entwicklung ist die zunehmende Implementierung von Flüssigkeitskühlungen in großen Rechenzentren. Flüssigkeitskühlungen haben sehr gute Wirkungsgrade, eine geringeren zusätzliche Strombedarf und erlauben eine intensivere Auslastung der Computersysteme. Zudem ließe sich mittels Flüssigkeitskühlungen auch die Abwärme der IKT in Rechenzentren effektiver transportieren und damit für eine externe Anwendung nutzbar machen.
Ein weiterer Technologietrend mit sehr gutem Energieeinsparpotenzial ist die Silizium-Photonik (Silicon Photonics). Dieses Verfahren ermöglicht einen hocheffektiven durchgehend optischen Datentransport. Neue Materialen werden nicht nur die optische Kommunikation verbessern, sondern auch im Bereich der Integrierten Schaltungen weitere Energieeffizienzgewinne mittelfristig sicherstellen. Die Hochminiaturisierung halbleiterbasierter Bauelemente wird immer aufwendiger und teurer. Daher entwickeln Ingenieur*innen heute komplex dreidimensionale Systeme aus vielen kleinen Halbleiter-Chips, die performant und energieeffizient sind. Die Technologien der Hetero-Systemintegration sind entscheiden für die Nachhaltigkeit moderner IKT-Systeme.
Datenbasis der IKT-Studie: Abbildung technologischer und marktbezogener Entwicklungen
Für die IKT-Studie werteten die Expert*innen für nachhaltige Elektronik insgesamt 80 Produktkategorien aus.
In das Modell fließt ein komplexes Gerätebestandsmodell ein, welches technologische und marktbezogene Entwicklungen abbildet. Das erfasste Produktspektrum beinhaltet IKT-Geräte und Anlagen in den deutschen Telekommunikationsnetzen, Rechenzentren, privaten Haushalten, Büros und Gewerbe sowie in öffentlichen Räumen und Industrieanwendungen, erläutert Dr. Lutz Stobbe.
Pro Produktgruppe wurde zunächst ein durchschnittliches Produkt anhand von Attributen wie z.B. Displaygröße, Speicher und Prozessorleistung definiert. Anschließend wurde auf Basis von Verkaufszahlen der Bestand in Deutschland hochgerechnet. Zudem wurde die Lebensdauer des Produktes abgeschätzt. Diese Datensätze werden benötigt, um präzise Basismodelle zu erstellen.
Das Green-ICT-Kompetenzzentrum bei der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland (»Green ICT @ FMD«) ist eine zentrale Anlaufstelle für nachhaltige Elektronik. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das Vorhaben im Rahmen der Initiative Green ICT, die Bestandteil des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung ist.
Verbundkoordinator: FMD-Geschäftsstelle
Partner: Fraunhofer EMFT, München; Fraunhofer ENAS, Chemnitz; Fraunhofer FHR, Wachtberg; Fraunhofer HHI, Berlin; Fraunhofer IAF, Freiburg; Fraunhofer IIS, Nürnberg; Fraunhofer IISB, Erlangen; Fraunhofer IMS, Duisburg; Fraunhofer IPMS, Dresden; Fraunhofer ISI, Karlsruhe; Fraunhofer ISIT, Itzehoe; Fraunhofer IZM, Moritzburg; Ferdinand-Braun-Institut GmbH, Berlin; IHP GmbH, Frankfurt (Oder)
BMBF-Förderung
Laufzeit: 08/2022-01/2026
*Stand 4/2024: Modellversion ICT_CF_D_Mod_24-2
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