Das Rückgrat unserer digitalen Welt ist aus Glas: ein Netz aus Glasfasern umspannt die Erdkugel und ermöglicht die weltweite Datenübertragung. Auch unser Blick ins Digitale erfolgt oft durch eine Glasscheibe. Über das Glas-Display unserer Smartphones interagieren wir täglich mit der Online-Welt.
Seit fast 20 Jahren arbeitet das Fraunhofer IZM daran, dass Glas bei der Datenübertragung eine noch größere Rolle spielt. Bei der Übertragung von Daten auf kleinen Distanzen im Zentimeterbereich, beispielsweise auf Leiterplatten, kommen bisher elektronische Verbindungen aus Kupfer zum Einsatz.
Um für diese kurzen Distanzen genau wie in Glasfasern optische Signalübertragung nutzen zu können, wurde am IZM die elektrisch-optische Leiterplatte (EOCB) erfunden. In enger Zusammenarbeit mit Forschungs- und Industriepartnern wurde ein vollständiger Prozess entwickelt, EOCBs aus Glas herzustellen.
RealIZM sprach mit Julian Schwietering über den faszinierenden Werkstoff Glas, die Vorteile von elektrisch-optischen Leiterplatten und zukünftige Anwendungsfelder dieser photonischen Aufbautechnik.
Die Idee, eine optische Lage in Leiterplatten zu integrieren, wurde 1999 erstmals von Wissenschaftler*innen des Fraunhofer IZM veröffentlicht. Im Jahr 2003 wurde entschieden, Glas als Material für die optische Lage zu verwenden. Die Wellenleiter für diese optische Lage werden mit einem Ionenaustauschverfahren in das Glas eingebracht. Dieser Prozess ist seit den 70er Jahren bekannt, kam jedoch nur auf kleinformatigem Glas zur Anwendung.
Ein Team des Fraunhofer IZM hat die Technologie auf großformatiges Dünnglas übertragen, um sie so für Leiterplatten nutzbar zu machen. Bis heute ist das Fraunhofer IZM führend in der Herstellung elektrisch-optischer Leiterplatten auf Formaten bis zu 457 mm x 303 mm.
Wie werden Lichtwellenleiter in Glas integriert? Welche einzelnen Prozessschritte werden dabei durchlaufen?
Antworten auf die Fragen weiß Julian Schwietering, Leiter des Teams »EOCB« in der Gruppe »Optical Interconnection Technologies« am Fraunhofer IZM: „Zur Integration der Lichtwellenleiter in Glas ist eine lange Prozesskette notwendig. Diese wurde bei uns für kommerzielle, meist geschlossenen Anlagen im Reinraum, entwickelt. Diesen Prozess sichtbar zu machen, ist mir ein großes Anliegen. So ist auch der nachfolgende Film entstanden.“
Elektrisch-optische Leiterplatten bringen alle Vorteile mit, die die optische Signalübertragung im Vergleich zur elektrischen Übertragung hat. Zudem verfügen glasbasierte EOCBs über alle Vorzüge, die der Werkstoff Glas besitzt: sehr gute dieelektrische Eigenschaften – insbesondere für Hochfrequenz-Anwendungen, sowie eine hohe Dimensionsstabilität, Biokompatibilität und eine hohe chemische Beständigkeit.
„Glas gehört zu den ältesten Werkstoffen der Menschheit. Obwohl es seit Jahrtausenden in verschiedenen Formen eingesetzt wird, sind noch viele Effekte im Glas nicht vollständig verstanden. Das macht es für uns Forschende zu einem spannenden Arbeitsmaterial“, so leitet Schwietering seinen Exkurs über Glas ein.
Glas: Fest und flexibel zugleich
Anders als ein Kristall hat Glas keine Fernordnung. Dank der regelmäßigen Struktur eines Kristalls kann man sich darauf verlassen, dass die Struktur (Gitterzelle) auch nach Millionen Atomen, genauso wieder anzutreffen ist. Das macht Kristalle besser berechenbar. Glas dagegen ist amorph. Seine Struktur besteht aus Ringen unterschiedlicher Größe, die ungleichmäßig angeordnet sind. Viele Theorien aus der Festkörperphysik funktionieren daher für Glas nicht.
Zu den grundlegenden Eigenschaften von Glas besteht nach wie vor viel Forschungsbedarf, berichtet Schwietering: „Auf der diesjährigen Konferenz anlässlich des 100jährigen Bestehens der Deutschen Glastechnischen Gesellschaft kam ein führender Glasforscher zu dem Schluss, dass die Lösung für die bestehenden Herausforderungen in der Theorie des chemischen Härtens von Glas in der Künstlichen Intelligenz liegen. Mit den bisherigen konventionellen Forschungsmethoden kommt man nicht weiter. Es gibt noch viel zu entdecken und Glas hat unglaublich viel Potenzial!“ Es ist nicht verwunderlich, dass die UN das Jahr 2022 zum Internationalen Jahr des Glases und ein führender Hersteller von Spezialgläsern sogar das Glas-Zeitalter ausgerufen haben.
Die gläserne Zukunft: Größer, dünner und biegbar
Bei der Herstellung von EOCBs verwendet die IZM-Forschungsgruppe kommerziell erhältliches Borosilikatglas im Halbformat. Dies entspricht in etwa der Größe eines DIN-A3-Blattes und hat eine Dicke von 550µm. Borosilikatglas ist preisgünstig und im Gegensatz zu teuren Spezialgläsern auch in großen Formaten gut erhältlich.
„Das Fraunhofer IZM ist bisher weltweit das einzige Forschungsinstitut, das so großformatiges Glas elektrisch und optisch funktionalisieren kann“, sagt Julian Schwietering. Von der Lamination von weiteren elektrischen Lagen auf dem Glas bis hin zur Glasbearbeitung, die Forscher*innen verfügen über ein breites Prozesswissen zur Herstellung von Leiterplatten aus Glas. „Unser Ziel ist es, die Glasgröße auf das sogenannte Vollformat zu verdoppeln und zugleich noch dünner zu werden, um flexible EOCBs herzustellen.“
Handelsübliche Größen von Glassubstraten:
– In Vorbereitung: 515 mm x 510 mm
– Derzeitiger Entwicklungsstand: 457 mm x 303 mm
– Derzeitige Standardgröße: 303 mm x 227 mm
„Die Integration der Lichtwellenleiter funktioniert mittlerweile prozesssicher. Diese Technologie kann jederzeit in die Industrie transferiert werden.“ Die Entwicklungsarbeit ist dennoch lange nicht abgeschlossen. Derzeit wird daran gearbeitet, weitere Funktionen in Glas zu integrieren. „Wir sind dabei Multi-Mode-Interferenzkoppler mit unserem Prozess zu realisieren, um Licht von einem auf mehrere Wellenreiter aufzuteilen. Ferner arbeiten wir daran Charakterisierungsmethoden und die dauerhafte Ankopplung an optische Fasern zu automatisieren. Einen automatisierten Messplatz zur Bestimmung der Einfügedämpfung hunderter Wellenleiter auf einem Panel haben wir bereits entwickelt. Solche Anlagen sind essenziell, wenn die Technologie in der Industrie eingesetzt werden soll.“, führt Schwietering dazu aus.
Technologie der Zukunft für Rechenzentren, (autonome) E-Fahrzeuge und Quantentechnologie
Noch werden elektrisch-optische Leiterplatten nicht serienmäßig eingesetzt. Erste mögliche Anwendungsbereiche für die photonische Aufbautechnik sind neben der Telekommunikation die Sensorik und das Quantum Packaging.
„Wir gehen davon aus, dass EOCBs zuerst in Datenzentren und überall dort zum Einsatz kommen werden, wo extrem viele Daten in kürzester Zeit sicher zu verarbeiten sind“, so die Einschätzung des Wissenschaftlers. Bis EOCBs auch in Consumer Produkten notwendig werden, wird es noch eine Weile dauern. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die elektrische Signalübertragung auch dort an ihre Grenzen stößt.
Neben der höheren Datenrate sprechen noch weitere Vorteile für einen Einsatz in bestimmten Anwendungen. Bei E-Autos spielt die optische Signalübertragung eine zunehmend größere Rolle als bei Verbrennern. Moderne Fahrzeuge ähneln immer mehr einem Supercomputer. Bei einem batteriebetriebenen Auto ist es wichtig, dass die einzelnen Komponenten, die Steuerelemente und alle sicherheitsrelevanten Bauteile galvanisch, also elektrisch isoliert von der Batterie und dem Batteriemanagement sind. Im Fall eines Unfalls oder Schadens dürfen die Sicherheitssysteme nicht durch elektrische Kurzschlüsse zerstört werden. Die Verwendung von Lichtwellenleiter in Glas, die somit keine elektrische Leitung ermöglichen, bringt also hierbei Vorteile in der Sicherheit mit sich.
Aktuell bauen die IZM-Wissenschaftler*innen ein mit 3,39 Mio. Euro von der Europäischen Union und dem Land Berlin gefördertes QuantumPackagingLab am Berliner Standort auf. In dem Labor sollen Quantentechnologien auf Glasbasis weiterentwickelt werden. Mit hochspezialisierten Anlagen wird es den Forschenden unter anderem möglich sein, hermetische Packages aus Glas herzustellen und diese elektrisch und optisch zu funktionalisieren. Auch die Strukturierung von Glas mittels Laser wird weiter vorangebracht und das Beschichten von Glas mit nanometergenauen Schichtdicken wird am Fraunhofer IZM möglich.
Wussten Sie:
Joseph von Fraunhofer (1787-1826), Namensgeber der Fraunhofer-Gesellschaft, absolvierte eine Lehre zum Glasschleifer. Er war als Optiker im „Mathematisch-mechanischen Institut“ in Benediktbeuern tätig. Innerhalb weniger Jahre verantwortete er die Glasherstellung und die Leitung des Instituts. Er erforschte u.a. das Brechungsvermögen von Glas und die Beugung des Lichts und entdeckte dabei die Spektrallinien des Sonnenlichts, die nach ihm benannten „Fraunhoferlinien.“
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Bild und Video: Fraunhofer IZM
Bild: Joseph von Fraunhofer, Deutsches Museum
Aktualisiert am 04.12.2024
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