Leistungselektronik für klimaneutrale Flugzeuge

Headerbild TELEV © Fraunhofer IZM | peepo | istockphoto.com

Die Luftfahrt in Europa soll bis 2050 klimaneutral und nachhaltig sein. Ab 2035 müssen daher klimaneutrale Flugzeuge zur Verfügung stehen. Voraussetzung dafür sind alternative Antriebssysteme sowohl für den Hauptantrieb als auch für alle Hilfsaggregate von Luftfahrzeugen, die nicht auf fossilen Brennstoffen basieren.

Um sich effizient und umweltfreundlich über kürzere Strecken in der Luft fortbewegen zu können, sind leistungsstarke elektronische Wandler mit einem Wirkungsgrad von 99 Prozent zwischen Batterie und Motor erforderlich.

Im Rahmen des Forschungsprojekts TELEV haben die Leistungselektronik-Expert*innen am Fraunhofer IZM zwei Innovationen für den Antriebsumrichter des Rotors eines eVTOLs (Electric Vertical Takeoff and Landing Vehicle) realisiert. Diese umfassen isolierte Single Chip Packages für Leistungshalbleiter und ein Konzept zur Luft-Konvektionskühlung, das auf zwei Spreizmechanismen basiert.

eVTOLs sind kleine senkrecht startende und landende Luftfahrzeuge. Ihre Anwendungen sind vielfältig, hierzu zählen z.B. der innerstädtische Personentransport, die Bekämpfung von Feuer, medizinische Nottransporte, die Sicherheitsüberwachung für Polizeieinsatzkräfte und der Lastentransport in unwegsamem Gelände.1 Zukünftig sollen für derartige Einsatzszenarien Fluggeräte inklusive Besatzung mit hybrid-elektrischen Antriebssystemen zum Einsatz kommen. Unter Beteiligung des Fraunhofer IZM wurden daher in dem Projekt TELEV luftfahrtgerechte Leistungselektronik, -verteilung und Steuerung erforscht.

»Wir haben erstmals ein isoliertes Single Chip Package realisiert und ein Luftkühlungskonzept designt, das auf zwei Spreizmechanismen basiert«, fasst Christoph Marczok den Beitrag der Arbeitsgruppe »Leistungselektronik« im Forschungsprojekt TELEV zusammen. »Durch die Effizienzsteigerung der Schaltvorgänge mit Hilfe von Siliziumkarbid ist es uns gelungen, den Gesamtwirkungsgrad des Antriebsumrichters zu erhöhen bei gleichzeitiger Miniaturisierung des Bauraums. Außerdem konnten wir durch den Einsatz der erzwungenen Konvektionskühlung mit Luft die Fluidkühlung am Umrichter einsparen, was die Herstellungskosten und das Gewicht des eVTOLS reduzieren sollte.«

Im Vergleich zu herkömmlichen Silizium-IGBT-Schaltungen verfügt Siliziumkarbid (SiC) über eine größere Bandlücke (Wide Band Gap – WBG). Die spiegelt sich in einer höheren Spannungsfestigkeit und schnelleren Schaltgeschwindigkeit wider. »Somit konnten wir die Schaltverluste stark reduzieren und die erforderlichen hohen Wirkungsgrade der Antriebsumrichter von 99 Prozent erreichen«, erläutert Marczok die Vorteile von SiC- MOSFETs. »Siliziumkarbid bietet Vorteile sowohl bei der Elektrifizierung von Straßen-, als auch von Luftfahrzeugen.«

Das Single Chip Package

Gepackagte Halbleiter sind keine neue Erfindung und kommen in verschiedenen Varianten vor. Einige sind sehr preiswert. Andere haben einen niederinduktiven Aufbau, verfügen über eine Basisisolierung zum Kühlkörper oder weisen einen sehr guten thermischen Pfad auf. Bisher gab es jedoch kein Package, das all diese vier Eigenschaften vereint. Christoph Marczok und sein Team haben erfolgreich ein solches Package entwickelt und einen Technologiedemonstrator erstellt, um die elektrischen Schalteigenschaften zu testen und die thermischen Eigenschaften des isolierten Single Chip Packages zu überprüfen.

Die Leiterplattentechnologie des Fraunhofer IZM ermöglicht die kostengünstige Produktion der Packages in großen Panel-Formaten in sehr hoher Stückzahl. Zudem sorgt die flache Bauweise mit direkt darüberliegenden elektrischen Lagen für einen niederinduktiven Aufbau. Die Aufbaubasis, auf der der SiC-Chip aufgesintert wird, ist ein keramisches Substrat, das sehr gute thermische Eigenschaften besitzt, um die entstehenden hohen Verluste im Chip schnell abzuführen. Die Einzelchips sind einfach austauschbar, und die Sperrspannung kann bis auf mindestens 3,3 kV erhöht werden.

Im Ergebnis entsteht ein extrem leistungsfähiges SMD-Bauteil, das einfach und kostengünstig mit bestehenden SMD-Bestückungsverfahren auf der Gesamtleiterplatte aufgebaut werden kann. Vor allem Hersteller von innovativen Inverterprodukten profitieren von der vereinfachten Aufbau- und Verbindungstechnik beim Herstellungsprozess des Leistungsmoduls. Die erforderliche Reinrauminfrastruktur für die Fertigung wird erheblich verringert.

Detailansicht Motorumrichter für den urbanen Luftverkehr | © Fraunhofer IZM

Luft-Konvektionskühlkonzept

Für eVTOLs bietet sich eine Luft-Konvektionskühlung an, da bei einem Rotor betriebenen Luftfahrzeug ausreichend Luftstrom vorhanden ist. So können der Fluidkühlungsmechanismus mit Pumpe, Schläuchen und Fluidreservoir eingespart und damit Volumen und Gewicht reduziert werden. Um die entstehenden Verluste bei luftgekühlten Systemen an die Luft zu übertragen, ist eine große Übertragungsfläche notwendig. Hierfür setzt das Team auf zwei Spreizmechanismen.

Der erste Spreizmechanismus sorgt für die kreisförmige Verteilung der Verlustwärme auf den gesamten Umfang des Gehäuses, indem insgesamt 60 kleinere SiC-MOSFETs physisch entlang des Umfangs verteilt werden. Der zweite Spreizmechanismus leitet den vertikalen Wärmefluss der Leistungshalbleiter über eine massivere Aluminiumstruktur in einen horizontalen Wärmefluss zum gesamten Gehäusemantel um. An diesem befinden sich Kühlfinnen, die die Oberfläche stark vergrößern und die entstandene Wärme an die dort vorbeiströmende Luft übertragen.

Technische Daten im Überblick

ThemaTechnische Werte
Gesamtleistungzirka 130 kW
Motorleistung eines einzelnen Rotors100 kW (bei insgesamt 8 Rotoren)
Flughöhe3.000 m
Flugstreckezirka 100 bis 200 km
Verwendeter Chip1200 V SiC-MOSFET
SchaltungstopologieB6-Brücke (mit 10 SiC-MOSFETs je Schalter)
Gesamtanzahl der Leistungshalbleiter60 Stück
Anzahl der Motorphasen3
Strömungsgeschwindigkeit der Luft
in der erzwungenen Konvektionskühlung
30 m/s
Thermischer Widerstand vom Chip zur Umgebung (Rth,j-a)3,5 K/W
Außenabmessungen des Gehäuses (Durchmesser x Höhe)277 mm x 57 mm
Wirkungsgrad99 %

Leistungselektronik für die Mobilität der Zukunft

Das Fraunhofer IZM ist seit über 20 Jahren führend in der Design-Entwicklung und Erprobung von Packaging-Technologien für Leistungselektronik. »Wir denken leistungselektronische Baugruppen wie Leistungsschalter, Spannungswandler, Antriebsumrichter und Leistungsmodule, die im Mobilitätsbereich auf der Straße, auf der Schiene oder in der Luft benötigt werden, neu«, beschreibt Christoph Marczok seinen Arbeitsbereich. »Mit den uns zur Verfügung stehenden Technologien miniaturisieren wir Leistungselektronik und machen diese leichter.«

Links: Motorumrichter für Flugtaxis | © Fraunhofer IZM
Rechts: Explosionsdarstellung des Umrichteraufbaus mit Leistungsmodul- und Treiber-/ Controllerleiterplatte | © Fraunhofer IZM

Die Prinzipien der Strom- und Spannungswandlung sind bei der Leistungselektronik für die Luftfahrt, den Straßen- und Schienenverkehr grundsätzlich gleich. Je nach Anwendungsbereich unterscheiden sich jedoch die Anforderungen. »Der Einbauraum im Schienenverkehr ist weniger kritisch als bei Straßen- oder Luftfahrzeugen«, führt Marczok aus. »In der Luftfahrt ist die Gewichtsreduktion ein entscheidender Faktor. Hinzu kommt, dass durch die Flughöhe größere Luft- und Kriechstrecken beim elektrischen Design eingehalten werden müssen, was der Miniaturisierung entgegensteht.« Er weist darauf hin, dass die Elektrifizierung des Antriebsstrangs in Flugkörpern derzeit nur für Einsatzbereiche auf Ultrakurzstrecken von 100 bis 200 km sinnvoll ist, da für längere Flüge größere und schwerere Batterien benötigt werden.

Die Arbeitsgruppe »Leistungselektronik« am Fraunhofer IZM war bereits an mehreren Forschungsprojekten zur Elektrifizierung von Teilsystemen beteiligt, z.B. bei der elektrischen Rotorblattverstellung in Helikoptern und einer Vielzahl von Automotive-Anwendungen. Die Erfahrung im Packaging und das Verständnis für die Notwendigkeit der Miniaturisierung der Leistungshalbleiter aus dem Automobilbereich setzen die Wissenschaftler*innen gewinnbringend für die Luftfahrtanwendung ein.

Termin vormerken:

6. bis 8. Mai 2025: Die Arbeitsgruppe »Leistungselektronik« des Fraunhofer IZM präsentiert auf der PCIM 2025 in Nürnberg.


Quellen:

1: NASA Electric Vertical Takeoff and Landing (eVTOL) Aircraft Technology for Public Services – A White Paper. Working Group 4. 2021: https://ntrs.nasa.gov/api/citations/20205000636/downloads/2021-08-20-eVTOL-White-Paper-Final_V48.pdf


Autorenprofil Christoph Marczok | © Fraunhofer IZM | MIKA Fotografie Berlin

Christoph Marczok

Christoph Marczok studierte Mechatronik an der Beuth Hochschule für Technik Berlin und erwarb dabei den »Master of Engineering« mit den Schwerpunkten Präzisions¬gerätetechnik und Qualitäts¬management. Seit 2010 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Leistungselektronik am Fraunhofer IZM und beschäftigt sich mit der Entwicklung von Leistungsmodulen auf Basis von schnell schaltenden SiC- und GaN-Leistungshalbleitern.

Seine Erfahrungen konnte er in zahlreichen Industrie- und öffentlichen Förderprojekten gewinnbringend einsetzen und erweitern. Sein bisher größter Erfolg war der Gewinn des Young Engineer Awards auf der Leistungselektronikkonferenz PCIM 2019 mit dem Thema »Low inductive SiC mold module with direct cooling«.

Katja Arnhold, Fraunhofer IZM

Katja Arnhold

Katja Arnhold ist redaktionell verantwortlich für den RealIZM-Blog des Fraunhofer IZM.

Katja hat 20 Jahre Erfahrung in der Unternehmenskommunikation und im B2B-Marketing. Sie arbeitete u.a. für zwei private Wetterdienstleister und den Weltmarktführer für alkoholische Premium-Getränke. Sie studierte Kommunikations- und Medienwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Psychologie an der Universität Leipzig, hat einen Masterabschluss und ist Mitglied im Leipziger Public Relations Studentenverband (LPRS).

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