Quantencomputer nutzen Superposition und Verschränkung, um simultan viele Rechenwege durchzuführen und eröffnen somit neue Lösungswege für hochkomplexe Probleme. Derzeit füllt die Steuerelektronik eines Kryostaten noch ganze Etagen. Langfristig soll diese innerhalb des Kryostaten auf wenigen Quadratzentimetern integriert werden. In dem Verbundprojekt »QSolid« entwickeln Fraunhofer IZM-ASSID, Fraunhofer IPMS und GlobalFoundries deshalb Packaging-Technologien, um zehntausende supraleitende Qubits thermomechanisch stabil zu verdrahten.
Steffen Bickel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IZM-ASSID, erläutert im Gespräch mit RealIZM die physikalischen Grundlagen für die Quantencomputer von Morgen, den Stand der Qubit-Technologien und die Herausforderungen bei der Entwicklung von Interposern.
»Quantencomputer lösen mathematische Probleme in einer anderen Art und Weise als digitale Computer«, erläutert Steffen Bickel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IZM-ASSID. »Man stellt sich am besten ein Labyrinth vor. Um von A nach B zu kommen, stehen wir bei jeder Abzweigung vor der Wahl einen der möglichen Pfade nacheinander auszuprobieren. Ein Quantencomputer ist in der Lage, alle diese Wege gleichzeitig zu gehen und sofort den besten Weg zu identifizieren.«
Welche physikalischen Grundprinzipien gilt es bei der Quantenmechanik zu beachten?
»Beim Quanten Computing geht es nicht darum, Fragestellungen, die wir heute mit einem Computer bearbeiten, schneller, besser oder effizienter zu lösen«, führt Bickel aus. »Tatsächlich werden Quantencomputer gebaut, um komplexe Aufgabenstellungen wie beispielsweise das Verhalten von 20 interagierenden Elektronen in einem Molekül zu simulieren.« Die grundlegenden Phänomene der Quantenmechanik sind die Superposition und die Verschränkung.
Superposition ist ein grundlegendes Prinzip in der Physik und Mathematik, das besagt, dass in einem linearen System die Gesamtheit der Effekte gleich der Summe der einzelnen Effekte ist. In der Quantenmechanik bedeutet es, dass ein Teilchen sich in mehreren Zuständen gleichzeitig befinden kann, bis eine Messung erfolgt.
Verschränkung beschreibt den Zustand, in dem zwei oder mehrere Qubits miteinander verbunden sind, so dass sie nur noch gemeinsam und nicht mehr individuell beschrieben werden können. Miteinander verschränkte Qubits verhalten sich demnach gleich oder diametral entgegengesetzt. Die Quantenverschränkung bezeichnete Albert Einstein einst als »spukhafte Fernwirkung« (spooky action at a distance). Erst die Verschränkung ermöglicht das Quantencomputing.
Noch ist offen, welche Quantentechnologie sich auf dem Markt durchsetzen wird. Jede Qubit-Technologie hat eigene Anforderungen. Das hehre Ziel ist, langfristig zehntausende von Qubits miteinander zu verschränken und Quantenchips ansteuern zu können. Für die Ansteuerung der Quantenchips werden derzeit Konzepte entwickelt. Das Forschungsprojekt »QSolid« fokussiert auf supraleitende Qubits. Die elektrischen Verbindungen zwischen diesen Qubits erfordern Supraleiter.
In Supraleiter sind Materialien, die unterhalb einer kritischen Temperatur keinen elektrischen Widerstand mehr aufweisen.
Ein Spin-Qubit (Halbleiter-Qubit) ist ein Qubit, das den Spin von Elektronen zur Kodierung von Quanteninformationen nutzt. Dies kann der Zustand »spin-up« oder »spin-down« sein oder eine Superposition dieser beiden Zustände, um die Zustände 0 und 1 eines Qubits darzustellen.
Warum Spin-Qubits bei Kelvin und supraleitende Qubits bei Millikelvin arbeiten
»Für die Halbleiterindustrie ist es wichtig, Spin-Qubits zum Laufen zu bringen. Bisher ließen sich jedoch nur wenige Halbleiter-Qubits miteinander verschränken, während man bei supraleitenden Qubits bereits mehr als 100 koppeln kann«, beschreibt Bickel den aktuellen Entwicklungsstand.
Für funktionsfähige Spin-Qubits und supraleitende Qubits werden extrem tiefe Temperaturen benötigt. Für supraleitende Qubits sind 10 bis 20 Millikelvin ideal. Halbleiter-Qubits funktionieren zum Teil bereits bei 1 Kelvin und werden daher auch als »heiße Qubits« bezeichnet. »Die Differenz zwischen 20 Millikelvin und 1 Kelvin mag wenig erscheinen. Tatsächlich ist dies eine Temperaturerhöhung um den Faktor 50«, erklärt Bickel.
Vom raumfüllenden »Kabelstrang« zur monolithischen Steuerplattform im Kryostaten
Die Herausforderung ist, die Qubits auf der unteren Ebene anzusteuern. Die Steuerelektronik des Kryostaten füllt derzeit noch ganze Etagen. Um die analogen Signale zu verarbeiten – zu verstärken bzw. zu dämpfen – werden alle Koaxialkabel aus dem Kryostaten herausgeführt. Die hohe Verdrahtung führt wiederum Wärme von außen an die Qubits ran.

Um mehr physikalische Qubits zu realisieren, müssen die elektronischen Bauteile für Signalsteuerung und-verarbeitung direkt in die kryogene Umgebung integriert werden. | © Fraunhofer IPMS I M. Wislicenus
Unter Leitung des Forschungszentrums (FZ) Jülich arbeiten 25 deutsche Forschungseinrichtungen und Unternehmen in dem Verbundprojekts »QSolid« daran, einen Quantencomputer Made in Germany mit verbesserten Fehlerraten zu entwickeln.
Das Fraunhofer IZM-ASSID entwickelt gemeinsam mit dem Fraunhofer IPMS und GlobalFoundries eine Interposer-Technologie, die auf hochdichte supraleitende Verbindungen und thermische Entkopplung durch fortschrittliches Packaging fokussiert.
Laufzeit: 01/2022 – 12/2026
Fördergeber: Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (ehemals BMBF)
Förderkennzeichen (Teilvorhaben): 13N16150
Fördersumme (Gesamt): 76,3 Mio. Euro
Projektwebseite
Interposer als Brücke zwischen Elektronik und Kryostaten
Das grundlegende Paradigma lautet: Die Steuerelektronik – die sich außerhalb des Kryostaten befindet – zukünftig in den Kryostaten zu integrieren. »Es besteht ein sehr hoher Innovationsbedarf und Forschungsdruck, mindestens Teile der Steuerelektronik möglichst kompakt auf wenigen Quadratzentimetern zu realisieren und auf einem Verdrahtungsträger möglichst nah an die Qubits heranzubringen. In diesem Bereich wird in der Halbleiterwelt die größte Innovation entstehen müssen«, fasst Bickel zusammen.
Links: Kryogener Aufbau und Ansteuerung eines supraleitenden Quantencomputers am Forschungszentrum Jülich, Rechts: Blick auf den Quantenprozessor, die Zentraleinheit des QSolid-Prototyps | © Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Si-Interposer sind hochdichte Verdrahtungsträger und damit die Verbindungsschnittstelle mehrerer Chips in einem elektronischen System. Die am Fraunhofer IZM entwickelte Starr-Flex-Interposertechnologie ist eine vielversprechende Basis, um mehr als 10.000 Qubits anzusteuern. Im Wesentlichen vereint die Technologie die Realisierbarkeit hoher Verdrahtungsdichten bei gleichzeitiger thermischer Entkopplung.
»Unser Beitrag in dem QSolid-Projekt ist, einen Teil der Verdrahtung um den Quantenchip zu bauen«, bringt es Bickel auf den Punkt. Die Verdrahtung ist eine wichtige Voraussetzung, um die Qubits bei den jeweiligen Betriebstemperaturen ansteuern zu können. Das Fraunhofer IZM-ASSID liefert die Packaging-Technologien und hat gemeinsam mit dem Fraunhofer IPMS und GlobalFoundries eine Interposer-Technologie entwickelt, bei der ein Konzept aus der Raumtemperatur-Elektronik in den für Anwendungen bei sehr kalten Temperaturen mithilfe neuer Materialien wie Titannitrid und ultradünne Schichtsysteme übertragen wird.
Der flexible Teil des Interposers besteht aus Polyimid und der supraleitenden Verdrahtung. Die kältere Seite mit dem Quantenchip wird über ein Kühlfinger mit einer Kühlstufe verbunden, während die Kontrollelektronik aufgrund ihres höheren Kühlbedarf an eine leistungsstärkere Kühlstufe angeschlossen wird. Die thermische Entkopplung zwischen beiden Teilträgern verhindert dann ein Aufheizen des Quantenchips.

Schematische Darstellung des QSolid-Interposers mit Bumps und phononischem Bragg-Reflektor | © Fraunhofer IPMS I M. Wislicenus
»Der funktionale Nachweis für die Technologie steht noch aus«, erläutert Bickel. Um die Proben zu testen, müssen die Forschende diese zunächst zirka einen Tag lang auf zwei Kelvin abkühlen. Die Forschenden müssen Kontaminationseffekte berücksichtigen und die reibungslose Fertigung der Standardmaterialien sicherstellen. »In dem Projekt nutzen wir einen relativ konservativen Ansatz und starten nicht mit einer Revolution. Titannitrid kann reaktiv abgeschieden werden.«
Auf dem Weg zu hochdichten supraleitenden Verdrahtungsträgern
Der elektrisch, thermomechanisch stabile Interposer hat eine Größe von 20 x 15 Millimetern. Hinter diesem Ergebnis steckt aufwendige Entwicklungsarbeit bei Abscheidungs- und Strukturierungsprozessen. Aufgrund der bei der Kristallisation von Titannitrid entstehenden Wärme, die nur in geringem Maße über Polyimid abgeführt werden kann, müssen zahlreiche, zum Teil wechselwirkende, Abscheideparameter optimiert werden, um gewünschte Zieleigenschaften wie Materialzusammensetzung und geometrischer Schichtbeschaffenheit bei möglichst geringer Prozessdauer erreichen zu können.

Starr-Flex-Interposer mit unterschiedlichen Polyimidlängen | © Fraunhofer IZM-ASSID
In dem Projekt »QSolid« wird ein halbleiterbasierter Packaging-Ansatz verfolgt, der eine sehr hohe Kompatibilität mit industriellen Fertigungsprozessen bietet. »Wir führen einen Machbarkeitsnachweis durch, um zu klären, ob sich halbleiterbasierten Verdrahtungsträger mit supraleitenden Qubits vereinbaren lassen. Erste Ergebnisse zeigen ein sehr gutes Potenzial«, beschreibt Bickel den aktuellen Projektstand.
»In einem nächsten Schritt gilt es nachzuweisen, ob wir den Prozess auf noch höhere Verdrahtungsdichten skalieren können. Für die Hochfrequenz-Verdrahtung werden koaxiale Strukturen benötigt.« Mit 20 x 15 Millimeter ist der Interposer relativ klein. Steffen Bickel und sein Team überprüfen daher gemeinsam mit dem Forschungszentrum Jülich und der RWTH Aachen die Auswirkungen auf das Systemverhalten, wenn die Größe des Interposers um den Faktor 2 bis 3 auf 40 x 80 Millimeter ansteigt.
Freiraum als Innovationsmotor in der Quantenforschung
»Am Fraunhofer IZM in Berlin und am Fraunhofer IZM-ASSID in Dresden sind wir gut aufgestellt, die Basistechnologien bereitzustellen, um Quantencomputer mit sehr hohen Verdrahtungsdichten aufbauen zu können«, sagt Bickel. Bei den niedrigen Temperaturen kommt die Anforderung der Supraleitfähigkeit hinzu. Bei Raumtemperatur und auch bei niedrigen Temperaturen spielt die optoelektronische Verdrahtung – via Wellenleiter – eine wichtige Rolle.
Das Potenzial der Technologie und das Interesse an dem Thema sind groß. Bickel berichtet, dass er oft gefragt wird, wie die Fortschritte und nächsten Stufen bei der Entwicklung des Quanten Computing aussehen: »Dieses Forschungsfeld hat den Touch der Unberührtheit, weil wir alle noch nicht wissen, was genau passiert und welche Technologie sich am Ende durchsetzen wird.« Um sich auf unbekanntes technologisches Terrain zu wagen, braucht es seiner Meinung nach vor allem Forschungsfreiheit: »Sowohl die Förderlandschaft als auch die Standortleitung des Fraunhofer IZM-ASSID und unsere Institutsleitung geben uns Forschenden den notwendigen Freiraum.«
»Für mich ist es eine große Ehre an der Entwicklung des Quanten Computing teilhaben zu dürfen. Auch wenn sich später vielleicht herausstellen sollte, dass unser Ansatz nicht zielführend ist.« Bickel führt ergänzend dazu aus, dass retrospektiv immer nur die Erfolgsgeschichten von technologischen Entwicklungen erzählt werden. »Doch wie viele Forschenden haben versucht einen funktionierenden Autoreifen zu entwickeln? Es gibt viele, die wir alle leider nicht kennen.«
In der aktuellen Berichterstattung ist vom »Q-Day« zu lesen. Gemeint ist der Zeitpunkt, an dem Quantencomputer derzeit üblichen Verschlüsselungssysteme knacken können. »Ich glaube, wer in der Forschungs- und Technologiebranche tätig ist, geht grundsätzlich mit Optimismus an die Sache heran.« Bickel schließt jedoch nicht aus, dass neue Technologien einen extrem disruptiven Charakter haben können.
Pressemittteilung, 18.09.2025: »Interposertechnologie revolutioniert Verbindungen im Quantencomputer«






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