RealIZM-Blog-Serie »Integrative Kreislaufwirtschaft« – Teil 1
Die durchschnittliche Nutzungsdauer von Smartphones bei über 16-Jährigen in Deutschland beträgt zirka 7 – 12 Monate. Kurze Innovationszyklen und ein hoher Wettbewerbsdruck auf Seiten der Hersteller sowie der Wunsch nach aktuellen Systemen und besseren Akkulaufzeiten auf Seiten der Konsument*innen beschleunigen den Wechsel zugunsten neuerer Modelle zunehmend. Oftmals wird dabei das Smartphone komplett ausgetauscht, da Reparaturen oder Verbesserungen eigenständig kaum durchzuführen und mit hohen Kosten seitens der Händler verbunden sind.
Einen möglichen Lösungsansatz, um die Umweltauswirkungen zu reduzieren, bieten jedoch zirkuläre Designs und modulare Systeme. Ein Projekt, das sich mit diesem Thema beschäftigte, war das vom BMBF geförderte Verbundprojekt MoDeSt „Produktzirkularität durch modulares Design – Strategien für langlebige Smartphones“, in dem ein transdisziplinäres Konsortium technische, soziale und wirtschaftliche Voraussetzungen für erfolgreiche modulare Smartphones untersucht hat.
Im ersten Teil der RealIZM-Blog-Serie zum Thema »Integrative Kreislaufwirtschaft« gibt Prof. Dr. Melanie Jaeger-Erben, Nachhaltigkeitsforscherin an der BTU Cottbus-Senftenberg, einen Einblick in die Methodik des Forschungsprojektes sowie die unterschiedlichen Bedürfnisse, Erwartungen und Verhaltensmuster von Smartphone-Nutzer*innen.
Elektroschrott ist einer der am stärksten zunehmenden Abfallströme in der EU. 2020 legte die EU-Kommission daher einen neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vor, in dem die Reduzierung von E-Abfall hoch priorisiert ist. Um den Lebenszyklus von elektronischen Produkten u.a. von Smartphones deutlich zu verlängern, sollen die verwendeten Materialien und die Geräte so lange wie möglich repariert, wiederverwendet und recycelt werden.
Zirkuläres Design ist eine mögliche Lösung, die den grünen Wandel der Wirtschaft vorantreiben soll. Dieses Konzept geht auf den Ansatz der zirkulären Kreislaufwirtschaft zurück, bei der Rohstoffe so verwertet werden, dass kaum bzw. kein Abfall entsteht oder dieser letztendlich weiterverarbeitet werden kann. Zirkuläres Design berücksichtigt daher immer den Gedanken der Recycelbarkeit. Wie sieht der komplette Produktlebenszyklus aus — und wie kann dieser verlängert werden? Forscher*innen am Fraunhofer IZM haben darauf basierend einen Baukasten für zirkuläre Design-Prinzipien entwickelt. Dieser steht online allen Interessierten frei zur Verfügung.
Ein vielversprechender Ansatz ist das Konzept der Modularität. Spricht man Prof. Dr. Jaeger-Erben darauf an, stellt sie zunächst klar: „Ein Smartphone ist bereits ein sehr modulares Gerät, was die Anwendungsmöglichkeiten betrifft. Mit diesen Mini-Computern lässt sich unendlich viel machen: z.B. die Lieblingsserie streamen, Musik hören, den Alltag planen oder Bankgeschäfte erledigen. Jederzeit und überall einsatzbereit ersetzen Smartphones immer mehr Geräte wie z.B. Wecker, Digital-Kameras und zum Teil sogar Desktop-Computer.“
Ein Smartphone ist aber erst dann modular im Sinne der zirkulären Wirtschaft, wenn Nutzer*innen einzelne Bauteile (Hardware) wie z.B. das Display oder den Akku schnell und einfach austauschen können. Vorausgesetzt, die einzelnen Bauteile sind nicht aneinandergeklebt. Zahlreiche Smartphone-Hersteller wie z.B. die am Projekt beteiligte Shift GmbH setzen bereits auf vereinfachte Reparatur. Die EU-Kommission fordert sogar ein „Recht auf Reparatur“.
Modularität bedeutet auch, dass Hardware und Software eines neuen Smartphones mit älteren Versionen kompatibel sind und Hardware sich upgraden lässt. Um die Funktionsleistung eines Smartphones deutlich zu verbessern oder bessere Fotos machen zu können, ist es aus Sicht der Nutzer*innen erforderlich, dass Kamera, Lautsprecher oder auch die Festplatte austauschbar sind.
Modulare Smartphones vereinen die Vorteile, den technischen Fortschritt durch Upgrades abzubilden und zugleich sich wandelnden Konsumbedürfnissen zu entsprechen. Der Schlüssel zum Erfolg von solchen Konzepten sind die Akzeptanz und das Interesse auf Seiten der Nutzer*innen. Hinzu kommen spezifische Nutzungskompetenzen und das Wissen um Reparatur- oder Nachrüstmöglichkeiten.
Sind modulare Smartphones per se nachhaltiger?
Das Konzept der Modularität hat sowohl auf der Software, als auch auf der Hardware-Ebene Vor- und Nachteile. Ziel des Forschungsprojektes MoDeSt war es, die Chancen und Grenzen der Modularität sowohl technisch als auch wirtschaftlich aufzuzeigen. Die Kolleg*innen der Leuphana Universität Lüneburg haben verschiedene Geschäftsmodelle untersucht, während das Team der TU Berlin gemeinsam mit dem Fraunhofer IZM soziale und gesellschaftliche Aspekte aus Sicht der Nutzer*innen beleuchtet haben.
In dem Projekt wurden die vielfältigen Nutzungstypen sowohl beim Design, als auch bei der Angebotsgestaltung für Smartphones berücksichtigt. Es wurden mehrere Workshops durchgeführt und verschiedenste Daten analysiert. Diese Datenerhebung war u.a. ein Arbeitsschwerpunkt des Fraunhofer IZM, das über eine langjährige Expertise in der Erstellung von Ökobilanzen und Umweltbewertungen von elektronischen Produkten verfügt. Zusätzlich zu Umweltdaten, die die negativen Auswirkungen und regulatorischen Anforderungen beleuchten, sind in dem Projekt MoDeSt auch Alltagsbeobachtungen durch die Teilnehmer*innen (sogenannte Culture Probes) eingeflossen.
Culture Probes sind eine Möglichkeit, um tiefere Einblicke und ein noch besseres Verständnis der Bedürfnisse der Nutzer*innen zu erhalten. Die Projektteilnehmer*innen waren aufgefordert, sich selbst zu beobachten und über verschiedene Problem- und Fragestellungen kreativ nachzudenken. Sie sollten beispielsweise aufschreiben, was ihrer Meinung nach die „sieben Todsünden“ des Smartphones sind bzw. wie der persönliche Stammbaum der bisher genutzten Smartphones aussieht. Durch dieses Out-of-the-box Denken wurden die Teilnehmer*innen motiviert, stärker als in einem klassischen Interview über ihre Alltagsnutzung des Smartphones nachzudenken.
Unterschiedliche Nutzung von Smartphones
Die Forscher*innen haben sich sehr intensiv mit der Alltagsnutzung von Smartphones befasst. Eine zentrale Erkenntnis, ist, dass es sehr verschiedene Nutzungsmuster und Anforderungen an diese gibt. Insgesamt wurden vier Nutzungstypen herausgearbeitet, die sich in der Intensität und im Zweck der Smartphone-Nutzung sowie den technischen Kompetenzen der Nutzenden voneinander anheben.
Einerseits unterscheidet sich die Intensität der Smartphone-Nutzung – von extensiv (also Tag und Nacht online) bis hin zu sporadisch – andererseits in Bezug auf die Technikaffinität der Nutzer*innen. Die Spanne reicht von permanenter Optimierung z.B. Apps neu zu organisieren und regelmäßig Updates durchzuführen bis dorthin, das Smartphone technisch stabil/ unverändert zu halten. Nachdenklich stimmt die Forscher*innen, dass diesen heterogenen Nutzungsmustern ein homogenes Angebot an Smartphones gegenübersteht.
„Die Geräte können mehr oder weniger alle das Gleiche. Nutzer*innen, die mit einer minimalen Ausstattung eines Smartphones zufrieden wären, bekommen ein Schweizer Taschenmesser, an dem alles dran ist“, führt Prof. Dr. Jaeger-Erben aus. Nach Einschätzung der Forscherin wäre es sinnvoll und auch nachhaltiger, wenn es für mindestens vier sehr unterschiedliche Nutzer*innen-Typen ein eigenes Smartphone-Modell gäbe. „Aus Sicht der Nutzer*innen wünschen wir uns mehr Diversität“, bringt sie es auf den Punkt.
Das Phänomen der technischen Überausstattung betrifft auch andere Consumer Electronics Produkte wie z.B. Fernseher und Notebooks. Doch wie könnte der one-fits-for-all-Ansatz in ein vielfältigeres Angebot überführt werden? Die Forscher*innen haben den vier am stärksten kontrastierenden Nutzungstypen jeweils passende Geschäftsmodelle zugeordnet, die sich in der Ausstattung der Produkte, Services und auch unterschiedlichen Geräte-Designs widerspiegeln.
Zusätzlich zum modularen Aufbau und zu spezifischen Designkonzepten der Geräte sehen die Forscher*innen auf Seiten des Verkaufs eine wichtige Hebelfunktion. Ihrer Meinung nach liegt in der Vielfalt eine Stärke. Daher sollte bereits beim Kauf eine auf die jeweiligen Bedürfnisse abgestimmte Beratung stattfinden und eine auf das Nutzungsprofil angepasste Geräteausstattung erfolgen.
„Tatsächlich brauchen wir Produkt-Service-Systeme, um zu verhindern, dass die Nutzer*innen überfordert werden.“, fasst Prof. Dr. Jaeger-Erben zusammen. „Eines unserer Fazits ist, dass deutlich mehr Wert daraufgelegt werden muss, Modularität sowohl in Bezug auf die Reparatur, auf Hardware- und Software-Updates als auch auf Geschäftsmodelle zu ermöglichen.“
Für intensive Smartphone-Nutzer*innen, die aber gleichzeitig weniger technikaffin sind, ist die one-fits-for-all-Lösung analog dem Schweizer Taschenmesser am besten geeignet. Die Geräte sind zwar potentiell überausgestattet und werden möglicherweise auch nicht lange genutzt, über Refurbishment- und Take-Back-Services kann für diese Geräte aber dennoch eine lange Lebensdauer durch mehrere Nutzungen hintereinander ermöglicht werden.
Für intensive Smartphone-Nutzer*innen mit hoher Technikaffinität – die sogenannten Optimierungssucher – ist dagegen das Lego-Baukasten-Geschäftsmodell passend. Für diese Nutzungsgruppe steht eine hohe Modularität der Geräte in Kombination mit einem Up-to-date/ Upgrade-Vertragsmodell im Vordergrund. D.h. sobald neue Module erhältlich sind, werden diese bei Bedarf ausgetauscht. Die „alten“ Elemente werden neu aufbereitet und in den Markt zurücküberführt.
Frugale Nutzer*innen, die Smartphones nur sehr wenig bzw. sehr gezielt verwenden, sind in der Regel auch mit einem reduzierten Funktionsumfang zufrieden. Für sie ist ein Perfekt-Fit-Service in Form von Beratung und bei Bedarf konkreter Hilfestellung wichtig. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Zuverlässigkeit des Gerätes.
Für die kritischen Enthusiasten, also Personen, die sich zwar gut auskennen, das Smartphone aber wenig nutzen wollen, spielt die Gerätefunktionalität eine zentrale Rolle. Für sie wäre eine „Pay-per-function“-Service optimal, bei dem sie Geräte leihen und nur für die Funktionen bezahlen, die sie auch wirklich nutzen.
Zwei Fragestellungen, die die Forscher*innen für sehr wichtig erachten, waren:
- Wie groß ist die Bereitschaft bei modularen Geräten, kurzzeitig auf diese zu verzichten, wenn sie sich in der Reparatur befinden?
- Sind Nutzer*innen gewillt, auf ausgewählte Funktionen zu verzichten, wenn diese möglicherweise nicht ausgetauscht werden können?
Tatsächlich tendiert ein Teil der Nutzer*innen dazu, sich lieber ein neues Gerät zu kaufen, da ein Verzicht von auch nur ein bis drei Tagen für sie unvorstellbar ist. Oder sie reaktivieren vorübergehend ein altes Gerät, das sich noch im eigenen Haushalt befindet. Das Angebot auf Reparatur würde bei ihnen ins Leere laufen.
Auf die Frage, was die wichtigste Erkenntnis des Projektes ist, erläutert Prof. Dr. Jaeger-Erben: „Wir haben aufzeigen können, dass Modularität keine einfache Lösung für Nachhaltigkeit und Langlebigkeit von Elektronik ist, sondern nur in spezifischen Fällen das Mittel der Wahl darstellt.“ Entscheidend, dass Produkte wie Smartphones länger als bisher genutzt werden – sei es von einem Nutzenden oder mehreren Generationen – ist weniger das Design, sondern vor allem der Service.
„Manchmal hat man das Gefühl, dass das Design eines Objektes als das „nächste große Ding“ herhält. Hauptsache es glänzt und ist fotogen. Statt auf den Nutzen zu fokussieren, geht es primär um die Frage, ob ein Produkt optisch neu aussieht und nicht, ob es wirklich besser Bedürfnisse befriedigt als alte Geräte. Es wird mehr ins Marketing investiert als sich tatsächlich auf die Bedürfnisse der Nutzer*innen zu konzentrieren. Hinzukommt, dass Designentwicklung noch viel zu wenig menschenzentriert stattfindet“, beschreibt Prof. Dr. Melanie Jaeger-Erben die aktuelle Situation.
Sie fordert daher mehr Partizipation in der Technikentwicklung und inklusives Design. So sollten potenzielle Nutzer*innen bei der Produkt- und Technologieentwicklung häufiger involviert werden und ihre Bedürfnisse formulieren. Ihrer Meinung nach wird leider die Perspektive von Menschen mit Handicaps und Senior*innen viel zu häufig ignoriert, die besondere Anforderungen an Smartphones haben.
Statt wie bisher nur Expert*innen zu adressieren, sollte daher zukünftig auch weniger technikaffinen Nutzer*innen entgegengekommen werden. So kam auch die Idee auf, in dem Forschungsprojekt mit erfahrenen Industrie-Designern zusammenzuarbeiten. Tapani Jokinen und Robin Hoske haben basierend auf den Nutzungstypologien und deren verschiedenen Bedürfnissen zwei Design-Konzepte für Smartphones entwickelt, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Zudem haben sie berücksichtigt, dass die Konzeptideen eine möglichst lange Nutzung der Geräte unterstützen und zugleich die alltägliche Kommunikation der Nutzer*innen verbessern und die vorherrschenden Ängste im Umgang mit den Geräten minimieren.
Eine ausführliche Vorstellung von MODEST CUBE und MODEST ARCH folgt in den nächsten beiden Teilen der RealIZM-Blog-Serie – Termine vormerken 13. Juli und 3. August 2023.
Das Verbundprojekt MoDeSt wurde vom BMBF im Rahmen der Maßnahme „Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft – Innovative Produktkreisläufe (ReziProK)“ gefördert.
Förderkennzeichen: 033R231
Laufzeit: 01.07.2019 – 30.06.2022
Beteiligte Partner: Fraunhofer IZM, TU Berlin (später BTU Cottbus-Senftenberg), Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg, Integrated Quality Design (IQD) der Johannes Kepler Universität Linz (assoziiert), SHIFT GmbH und AfB gGmbH
Publikationen:
Jaeger-Erben, M., Proske, M. & Hielscher, S. (2023, im Druck) Scalability and durability, or is modular the new durable? The case of smartphones. In: Jaeger-Erben, M., Wieser, H., Marwede, M. & Hofmann, F. (2023). Durable Economies – Organising the Material Foundations of Society. transcript Verlag.
Hielscher, S., Jaeger-Erben, M., & Poppe, E. (2020). Modular smartphones and circular design strategies: The shape of things to come?. In The Routledge Handbook of Waste, Resources and the Circular Economy (pp. 337-349). Routledge.
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