MODEST CUBE: Eine Vision für nachhaltiges Produktdesign von Smartphones © Fraunhofer IZM 2023: Tapani Jokinen & Robin Hoske

MODEST CUBE: Eine Vision für nachhaltiges Produktdesign von Smartphones

RealIZM-Blog-Serie „Integrative Kreislaufwirtschaft“ – Teil 2

High-End Smartphones sind bisher vor allem eines – sie ähneln sich sehr stark. Die Geräte der führenden Hersteller verfügen über eine leistungsstarke Kamera, ein großes Display und sind weitgehend eckig. Sie besitzen die gleichen Elemente und Komponenten, an mehr oder weniger der gleichen Stelle. Die Bedürfnisse von Smartphone-Nutzer*innen sind nachweislich jedoch sehr vielfältig. Sollte in Zeiten einer sich immer schneller wandelnden Welt, in der der ökologische Fußabdruck von Elektronik eine zunehmend wichtige Rolle spielt, nicht auch das Design von Smartphones vielfältiger und nachhaltiger gestaltet sein?

Zu diesem Thema sprach RealIZM mit Tapani Jokinen, Design-Berater am Fraunhofer IZM und Gründer des Beratungsunternehmens TJ-Design, und Robin Hoske, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IZM. Die beiden erfahrenen Industrie-Designer sind an dem BMBF gefördertem Verbundprojekt MoDeSt „Produktzirkularität durch modulares Design – Strategien für langlebige Smartphones“  beteiligt. Ihre Aufgabe war es Zukunftsvisionen für ein nachhaltiges Produktdesign von Smartphones zu entwickeln. Die Geräte sollten, möglichst langlebig, reparierbar, nachrüstbar und recyclefähig sein. Zudem sollten sie sich optisch deutlich voneinander unterscheiden, und ein positives Nutzererlebnis bieten.

In Anlehnung an den Projekttitel MoDeSt trägt das erste Konzept der beiden Industriedesigner den Namen MODEST CUBE. Mit diesem Entwurf zeigen sie auf, wie das Thema Modularität nicht nur auf einzelne Bauteile sondern auf das gesamte System eines Smartphones übertragen werden kann. Im zweiten Teil der RealIZM-Blog-Serie zum Thema „Integrative Kreislaufwirtschaft“ stellen wir den Entwurf des Smartphones MODEST CUBE vor und geben einen Einblick in den zirkulären Design-Prozess.

Jeder Entwurf startet mit der Frage: Wie und wofür wird das Gerät verwendet? „Es war wichtig zu verstehen, mit welchen Herausforderungen und Fragestellungen die Nutzer*innen tagtäglich konfrontiert sind“, erklärte Tapani Jokinen. Basierend auf den im MoDeSt-Projekt erhobenen Culture Probes (Alltagsbeobachtungen) sowie Datenauswertungen zu Ökobilanzen und Umweltbewertungen von Smartphones wurden sogenannte „Brennpunkte“ (Hotspots) bei der Smartphone-Nutzung aus der Perspektive der Nutzer*innen identifiziert.

Je nach Nutzertyp können diese Hotspots variieren. Ein Faktor, der bei allen Nutzergruppen eine zentrale Rolle spielt, ist ZEIT. Sei es die Zeit des täglichen Social Media-Konsums, die je nach Typ maximal oder minimal ausfallen soll, oder der zeitliche Aufwand, der für den Austausch des Displays, der Batterie oder die Wartung anderer Hardware-Elemente, anfällt.

Die Herausforderung, vor der Tapani Jokinen und Robin Hoske standen, war Ideen für Visionen von zukünftigen Smartphones zu erarbeiten, die sowohl die unterschiedlichen Bedürfnisse der Nutzer*innen aufgreifen und ein positives Nutzererlebnis versprechen als auch die Produktlebensdauer verlängern und die Umweltauswirkungen minimieren. Für eine schnelle und einfache Anpassung von Hardware und Software bietet sich Modularität als Lösungsweg an.

„Modularität ist nur dann von Vorteil, wenn sich die Lebens- und Nutzungsdauer eines elektronischen Gerätes letztendlich auch verlängert“, betont Robin Hoske. „Die Hardware spielt dabei genauso eine Rolle wie das Verhalten und die Erwartungen der Nutzer*innen. Bestimmte, nicht voll durchdachte Varianten der Modularität – eigenständig durchführbare, aber zu komplizierte Prozesse – können unter Umständen dazu führen, dass sich die Bereitschaft zur Reparatur verringert und sich die Nutzer*innen am Ende doch für ein neues Gerät entscheiden.“

Die beiden Industrie-Designer mussten daher das Konzept von Modularität neu denken. Hierzu griffen sie auf die Expertise des am Verbundprojekt beteiligten interdisziplinären Forschungsteams zurück. „Es war uns wichtig, Expert*innen aus verschiedenen Fachbereichen – Wirtschaft, Umwelt, Konsum und Design – von Anfang an mit an Bord zu haben“, führt Tapani Jokinen aus. Robin Hoske ergänzt: „Oftmals werden Industrie-Designer*innen bei der Technologieentwicklung erst sehr spät hinzugezogen. Das führt dann leider zu Problemen, die sich einfach vermeiden lassen, wenn alle Fachabteilungen von Beginn an zusammenarbeiten.“

In einem gemeinsamen Workshop wurden zahlreiche Ideen entwickelt. Die besten Vorschläge wurden anschließend von Jokinen und Hoske in einem Designbriefing weiter ausgearbeitet und erste Visualisierungen dazu erstellt.

© Fraunhofer IZM 2023: Tapani Jokinen & Robin Hoske

Workshop
© Fraunhofer IZM 2023: Tapani Jokinen & Robin Hoske

Anwendungsszenario: Reparatur, Upgrade und Anpassung der Hardware

Gutes Produktdesign und Serviceangebote spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Nachhaltigkeitsanforderungen standzuhalten und einen Beitrag zu einer zukunftsfähigen, zirkulären Wirtschaft zu leisten. „Um ein ökonomisch und ökologisch ausgewogenes Konzept für Produkte, Services und Dienstleistungen entwickeln zu können, kombinieren wir Design- und Umweltbewertungsmethode mit angewandter Forschung. So stellen wir sicher, die Nutzerbedürfnisse und auch die sozialen und ökologischen Herausforderungen zu berücksichtigen und speziell dafür auch Lösungen zu erarbeiten.“

Im Designbrief für das Smartphone MODEST CUBE standen die drei Themenfelder Reparatur, Upgrade und Anpassung der Hardware im Zentrum. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass die durchschnittliche Lebensdauer eines Smartphones derzeit bei 2,5 Jahren liegt. Bei Geräten der neueren Generation beträgt diese sogar nur 15 bis 18 Monaten. Einer der Hauptgründe für die Neuanschaffung eines Smartphones ist die nachlassende Leistung des Akkus. Die Aufgabe, die sich Jokinen und Hoske stellte, war: Wie sieht ein Smartphone mit langer Lebensdauer aus?

Statt auf die „One design fits for all“-Lösung setzen die beiden Industrie-Designer auf das „Mix and Match“-Prinzip. Austauschbare Hardwaremodule sollen es Nutzer*innen ermöglichen mit den neuesten technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Das MODEST CUBE veraltet nie – so die Vision der Designer.

MODEST CUBE Cube-Skizze und schematischer Aufbau
© Fraunhofer IZM 2023: Tapani Jokinen & Robin Hoske

MODEST CUBE besteht aus vier zentralen Einheiten:

  • Dem ‚Kopf‘, der die Hauptplatine, CPU/GPU-Prozessor, RAM, Speicher und Kamera enthält,
  • dem ‚Körper‘, in dem die Antenne, verschiedene Anschlüsse, Mikrofone und Lautsprecher eingebaut sind,
  • dem ‚Herzen‘, in dem sich die Batterie befindet und
  • dem Display.

Jedes einzelne Element lässt sich in wenigen Schritten austauschen oder bei Bedarf an die jeweiligen Nutzeranforderungen anpassen. Leicht zugängliche Module vereinfachen die Wartung und Reparatur.

Kaputte Displays und Bildschirme zählen zu den häufigsten Schäden an Smartphones. MODEST CUBE bietet erstmals die Chance, dass Nutzer*innen das Display mit wenigen Handgriffen selbständig austauschen können. Dies ist möglich, da die Frontkamera, der Lautsprecher und Sensoren nicht wie bisher üblich direkt im Display sondern in einem separaten Slot integriert sind. Die Designer haben zudem eine minimal höher gezogene Displayumrandung als Schutz vorgesehen für den Fall, das Smartphone fällt zu Boden.

Langlebige und rückverfolgbare Materialien und Komponenten sind zudem speziell für das Recycling und die Wiederverwendung konzipiert. So schlagen die Designer vor, 100 % recyceltes PCR-Kunststoffmonomaterial zu verwenden. Dieses eignet sich für die Wiederverwertung in neuen Produkten und reduziert zugleich die Abfallmenge.

MODEST CUBE Skizze des Displays und Skizze des Gehäuses
© Fraunhofer IZM 2023: Tapani Jokinen & Robin Hoske

Mit dem MODEST CUBE veranschaulichen die Jokinen und Hoske, wie Elektroschrott minimiert werden kann, in dem der Wert des Produktes, seiner Komponenten und Materialien bewahrt werden. Ferner zeigen sie mit ihrem Entwurf auf, wie die Nutzungsdauer und Langlebigkeit des Produkts maximiert und die Umweltauswirkungen während seiner Lebensdauer reduziert werden könnten. Dies wird durch die Möglichkeit erreicht, einzelne Komponenten upgraden und reparieren zu können. Genügt die Kamera den Anforderungen nicht mehr aus, wird der „Kopf“ des Gerätes einfach ausgetauscht. Der Neukauf eines Gerätes entfällt. Zugleich werden Geld und Ressourcen gespart. Das Design und der Aufbau der Haupteinheiten berücksichtigt zudem verschiedene Anwendungsfälle. So ist es sehr wahrscheinlich, dass Nutzer*innen sowohl die Rechenleistung als auch die integrierte Kamera ihres Smartphones aufrüsten wollen. Beide Elemente sind daher im „Kopf“ vereint.

Vorderseite und Rückseite des MODEST CUBE
© Fraunhofer IZM 2023: Tapani Jokinen & Robin Hoske

Das Smartphone der Zukunft: Modular und nachhaltig ja – innovatives Design nein? 

Auf die Nachfrage zur doch sehr ähnlichen Formgestaltung des MODEST CUBE zu gängigen Smartphones führt Hoske aus: „Zu Beginn haben wir verschiedene Formen ausprobiert. Wir wollten das Aussehen des Smartphones neu interpretieren. Am Ende haben wir uns bei MODEST CUBE doch für das derzeit gängige Smartphone-Design entschieden.“ Als Gründe hierfür nennt er die Hardware-Anforderungen wie zum Beispiel der Notwendigkeit eines Docking-Ports. Zum anderem erleichtern bekannte Formen die Reparatur.

„Das Thema Zeitersparnis ist für Nutzer*innen einer der wichtigsten Entscheidungsgründe für die Anschaffung eines neuen Smartphones. Um das Upgrade und auch die Reparatur des Smartphones zu beschleunigen, haben wir die vier Hauptkomponenten als Pakete gestaltet. D.h. sie sind individuell anpassbar, werden aber als Ganzes verbaut.“

Das Smartphones in Zukunft nicht zwingend eckig und groß sein müssen, präsentieren Jokinen und Hoske mit ihrem zweiten Designkonzept. Mit dem Smartphone MODEST ARCH zeigen sie eine innovative Idee auf, die sowohl bei der Formsprache als auch bei den Nutzungsszenarien neue Wege geht. Wie sich das Design des Smartphones MODEST ARCH von anderen abhebt, stellen wir im dritten Teil der RealIZM-Blog-Serie „Integrative Kreislaufwirtschaft“ am 3. August 2023 vor.

Das Verbundprojekt MoDeSt wurde vom BMBF im Rahmen der Maßnahme „Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft – Innovative Produktkreisläufe (ReziProK)“ gefördert.

– Förderkennzeichen: 033R231
– Laufzeit: 01.07.2019 – 30.06.2022
– Beteiligte Partner: Fraunhofer IZM, TU Berlin (später BTU Cottbus-Senftenberg), Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg, Integrated Quality Design (IQD) der Johannes Kepler Universität Linz (assoziiert), SHIFT GmbH und AfB gGmbH


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