Bei der Herstellung von hochwertigen Elektronik- und Elektrogeräten (EEE) wie z.B. Computern, Kühlschränken und Smartphones werden bisher kaum bis keine recycelten Kunststoffe verwendet. Zugleich zählen diese Produktgruppen zu den am stärksten wachsenden Abfallkategorien. Wie lässt sich der Anteil von recycelten Kunststoffen in Elektrogeräten erhöhen? In dem EU-Projekt INCREACE (Increase the share of recycled plastics in added value products) erarbeitet ein Konsortium unter Leitung des Fraunhofer IZM Leitlinien, Prototypen und Lösungsansätze für die Kunststoffindustrie zur Umsetzung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.
Komponenten- und EEE-Hersteller*innen, Produktdesigner*innen, Sammler*innen, Recycler*innen und auch Verbraucher*innen spielen eine wichtige Rolle bei der nachhaltigen Nutzung von Kunststoffen und bei der erfolgreichen Umsetzung der Kreislaufwirtschaft von hochwertigen Elektronik- und Elektrogeräten. Zugleich werden die verschiedenen Akteursgruppen mit technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Herausforderungen konfrontiert.
EEE-Hersteller*innen müssen sicherstellen, dass ihre Produkte hohe qualitative und gesetzliche Anforderungen erfüllen. Je nach Anwendungsbereich müssen die verwendeten Materialien schwer entflammbar, chemikalienbeständig und für den Kontakt mit Lebensmitteln geeignet sein. Teilweise sind hohe medizinische Standards einzuhalten und elektrostatische Aufladungen auszuschließen. Folgerichtig setzen Produzent*innen auf bekannte Materialien wie beispielsweise „Kunststoffe von der Stange“.
Anhand von fünf Produkten der am INCREACE-Projekt beteiligten EEE-Hersteller*innen wird untersucht, ob, in welcher Form und in welchem Umfang zukünftig recycelte Kunststoffe eingesetzt werden könnten.
Lebensmittelkontakt: Topf, Behälter, Einsatz und Deckel aus hochwertigem, lebensmittelechtem Kunststoff
Schwer entflammbar: Ladestation für Elektroautos für Zuhause
Chemische Widerstandsfähigkeit: Küchenkomposter zur Fermentierung und Geruchsbindung von Küchenabfällen
Elektrostatische Entladung: Schwerlastpalette für Hochleistungsumgebungen und den Einsatz im Hochregal
Medizin und Hautkontakt: Elektrische Schallzahnbürste
Die Verwendung von recycelten Kunststoffen in elektronischen Produkten ist sowohl auf der Seite der Hersteller*innen als auch der Endverbraucher*innen mit Vorbehalten bezüglich der Produktqualität und Preisgestaltung belastet zum Beispiel:
- Wiederaufbereitete Kunststoffe erfüllen nicht die gleichen qualitativen Anforderungen wie Kunststoffe aus Primärrohstoffen.
- Elektrogeräte, in denen Rezyklate vorkommen, können nicht zum gleichen Preis verkauft werden, wie Produkte aus Primärkunststoff. Der Preis von Primärkunststoffen ist an den Preis von Erdölpreis gekoppelt und im Vergleich zu Rezyklaten daher verhältnismäßig niedrig.
Inwiefern diese Annahmen zutreffen und wie man gegensteuern kann, ist einer der Forschungsschwerpunkte des INCREACE-Projektes. Nicht jede Annahme, die weit verbreitet ist, ist auch tatsächlich richtig. In dem Vorgängerprojekt „PolyCE“ (Post-Consumer High-tech Recycled Polymers for a Circular Economy) ergab eine Umfrage, dass Konsument*innen wenig darüber nachdenken, ob ein einzelnes Produkt Kunststoff aus Primär- oder Sekundärrohstoffen enthält. Vielmehr gehen Verbraucher*innen davon aus, dass viele Produkte am Markt bereits aus recyceltem Kunststoff bestehen. Diese Annahme ist jedoch falsch.
2016 sind lediglich 5,3 Millionen Tonnen Kunststoff-Material in die EU-Recyclinganlagen eingegangen. Nach dem Recyclingprozess verringert sich die Ausbeute an Recyclingkunststoffen üblicherweise nochmals um die Hälfte.
Es ist wichtig, die Nachfrage nach recyceltem Kunststoff, besonders bei höherwertigen Anwendungen wie Elektro- und Elektronikgeräten, anzukurbeln. Derzeit werden recycelte Kunststoffe vorwiegend im Baugewerbe (46%), der Verpackungsindustrie (24%) und in der Landwirtschaft (13%) eingesetzt – nur 2% der Rezyklate landen aktuell in den Elektronik- und Elektrogeräten (EEE). Dies entspricht circa 80.000 Tonnen recycelter Kunststoffe in neuen elektrischen und elektronischen Geräten, das theoretische Marktpotenzial in der EU beträgt dabei jährlich rund 2.100.000 Tonnen.1
Als Teil des EU-Aktionsplans zur Kreislaufwirtschaft wurde im Jahr 2018 die Strategie für Kunststoffe verabschiedet: Ihr Ziel ist es, den Anteil recycelter Kunststoffe in neuen Produkten zu erhöhen. Als zentrales Element soll sichergestellt werden, dass bis 2025 zehn Millionen Tonnen recycelter Kunststoffe in neuen Produkten in den europäischen Markt einfließen2, während es 2016 noch weniger als vier Millionen Tonnen waren3.
Verbesserungsmöglichkeiten für das Kunststoffrecycling von Elektroschrott
Was bei der Verwendung von Kunststoffen als Vorteil gilt, führt bei der Entsorgung von Elektroschrott zu vielfältigen Problemen. Die Materialvielfalt und komplexen Materialeigenschaften erschweren die sortenreine Sammlung und das Recycling. Außerdem lassen sich je nach Aufbau des Geräts einzelne Bauteile und Kunststoffelemente nur sehr schwer bis gar nicht voneinander trennen. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung der verwendeten Kunststoffe teilweise kaum nachvollziehbar ist.
Ein Problem des Kunststoffrecyclings ist die Wirtschaftlichkeit. Ein wichtiger ökonomischer Treiber beim Recycling von Elektroschrott sind Metalle. Metalle können in Primärqualität wiedergewonnen und verarbeitet werden. Bei Kunststoffen ist dies anders. Um den unterschiedlichen Anforderungen und Qualitätsstandards in verschiedenen Anwendungsbereichen gerecht zu werden, werden Kunststoffen verschiedenste Zusatzstoffe (z.B. Farbstoffe, Flammhemmer und Weichmacher) hinzugefügt.
Mit den bisher gängigen Recyclingmethoden ist es bei Elektronikaltgeräten nur schwer möglich, eine gleichbleibende Qualität des gewonnenen Plastiks sicherzustellen. Im Projekt soll daher aufgezeigt werden, welche Recycling-Technologien sich kombinieren lassen, um qualitative Einbußen, die beim mechanischen Recycling von Kunststoffen auftreten, auszugleichen und eine maximale Ausbeute an qualitativ hochwertigen Rezyklaten zu gewinnen. Die Idee ist, Rezyklate so herzustellen, dass sie für diese Anwendungsfälle nutzbar sind.
Einen Einblick in die Möglichkeiten technischer und systemischer Lösungen geben Ronja Scholz und Theresa Aigner bei der Online Expert Session „Recycelte Kunststoffe in der Elektronik: Herausforderungen und Chancen“:
Aufzeichnung: Expert Session Recycled Plastics in Electronics: Challenges & Opportunities. Ronja Scholz & Theresa Aigner, 5. Dezember | © Fraunhofer IZM
Untrennbar: Designentwurf und Lebensende eines EEE-Produktes
Je mehr Energie die Recyclingprozesse erfordern, umso größer wird auch der ökologische Fußabdruck von Elektronik- und Elektroaltgeräten. Für die Umweltexpert*innen am Fraunhofer IZM ist daher wichtig, das Thema auch unter Nachhaltigkeitsaspekten zu betrachten. So ist abzuwägen, ob sich die Investition in die Sortierung lohnt. Saubere Abfallströme erfordern weniger aufwendiges Recycling. Oder wären verbesserte Sammelsysteme und aufwendigere Recyclingprozesse die bessere Wahl?
Neben technischen werden auch gesellschaftliche Aspekte untersucht. Beispielsweise ist zu klären, wie Verbraucher*innen dazu beitragen können, dass elektronische Geräte dem richtigen Rückgewinnungsstrom zugeführt werden. Dies ist entscheidend, um den Produktkreislauf zu schließen. Zudem sind auch Regularien zu beleuchten, die möglicherweise kontraproduktiv sind. Sind angestrebte Recyclingquoten für stark regulierte Anwendungsfälle und unter den technischen Voraussetzungen vereinbar?
„Wir beobachten ein starkes Interesse, Rezyklate in Elektronikprodukten einzusetzen. Allerdings sind uns auch die Herausforderungen bewusst, mit denen Hersteller und Recyclingunternehmen konfrontiert sind. Das INCREACE-Projekt zielt darauf ab, diese Herausforderungen weitestgehend anzugehen und Lösungen zu präsentieren“, sagt Theresa Aigner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IZM.
Zum einen müssen Rezyklate Anforderungen erfüllen wie z.B. schwer entflammbar, chemikalienbeständig und lebensmittelecht sein. Die Herausforderung für Recyclingunternehmen besteht darin, die in einem Produkt vermischten Kunststoffe einzeln herauszuholen. Hinzukommt, dass die Kunststoffe verschiedenfarbig sind, jede*r Hersteller*in spezifische Additive verwendet und verschiedene Materialien/Polymere nicht trennbar verbunden werden. Zum anderen sind bei Elektronikaltgeräten verschieden gemischte Stoffströme zu recyceln. Je nach Produkt bestehen die Geräte aus diversen Materialien z.B. Metall, Keramik und Plastik. In einem ersten Schritt müssen Störstoffe entnommen, Produkte zerkleinert sowie Metalle und andere Materialien zur Wiederaufbereitung abgetrennt werden. In einem zweiten Schritt können auf Kunststoff spezialisierte Recycler*innen, die unterschiedlichen Polymere nach Dichte sortieren und separieren. Sortierungsverfahren mit Hilfe von Sensorik ermöglichen zudem eine sortenreine Sortierung. Es wird aktuell ab innovativen Sortierungsprozessen geforscht, welche auch im Rahmen des INCREACE Projektes berücksichtigt werden. Es stellt sich jedoch die Frage nach der größeren Hebelwirkung: Lohnt es sich die Sortierung und Wiederaufbereitung zu verbessern, um Produktfehler auszumerzen? Oder sollte das Produktdesign grundlegend überdacht werden? Recycling ja, aber nicht um jeden Preis. Nicht zu vergessen, Trends kommen und gehen. Eine Zeit lang waren weiße Bildschirme in Mode. Dann wieder in schwarz.
Anstatt wie bisher Endprodukte und den enthaltenen Kunststoff als Abfall zu betrachten, verfolgt das INCREACE-Projekt einen systemischen Ansatz: Design für und aus dem Recycling.
Workshop „Design für und aus dem Recycling“: Im Februar 2024 lud das INCREACE-Projektteam Produktdesigner*innen und Ingenieur*innen ein, um sich über Herausforderungen in der Phase des Designentwurfs beim Einsatz von recycelten Kunststoffen, Tools zur Bewertung der Recyclingfähigkeit und Recycling-Strategien für EEE-Produkte auszutauschen. | © INCREACE Projekt | Fraunhofer IZM
„Recycling sollte nicht erst dann in Betracht gezogen werden, wenn ein Produkt seine Lebensdauer erreicht hat, sondern bereits von Beginn an bei der Produktgestaltung mitgedacht werden“, erläutert Ronja Scholz, Expertin für Ökodesign und zirkuläres Service-Design am Fraunhofer IZM.
Eine der INCREACE-Forschungsfragen lautet: Gibt es für das jeweilige Produkt und seine spezifischen Anforderungen bereits einen existierenden Recyclingstrom? Nur so kann entschieden werden, ob ein anderer Kunststoff zum Einsatz komme sollte. Oder ob es notwendig ist, die Anforderungen neu zu definieren, um zukünftig eine Recyclinglösungen anbieten zu können. Derzeit werden vielfach Kunststoffe verwendet, die nicht zurückgewonnen werden können. Im Projekt werden daher technische, regulatorische und gesellschaftliche Barrieren und potenzielle Lösungen auf EU-Ebene aufgezeigt. Zudem soll demonstriert werden, dass es technisch möglich ist, recycelten Kunststoff wiederzuverwenden. Voraussetzung hierfür ist u.U. die Anpassung der Gesetzgebung.
Kunststoffgehäuse mit Konstruktionsanforderungen für und aus Recycling; PolyCE Guidelines4
| © PolyCE Projekt | Fraunhofer IZM
Die Tatsache, dass es EU-weit kein einheitliches Rücknahmesystem für Elektroschrott gibt, wirkt sich auf die Ausgestaltung der Lösungsvorschläge aus. Eine zentrale Aufgabe, die sich den Forschenden bei dem INCREACE-Projekt generell stellt, ist: Welche Lösungsansätze können verallgemeinert werden und in welchen Fällen sind spezifische Antworten notwendig. Diese Frage gilt es auch für das Thema „Wie kommuniziert man Recycling in der Produktvermarktung?“ zu beantworten.
Recycelte Kunststoffe in elektronischen Produkten: Die Frage nach Transparenz und Akzeptanz
Schnell steht der Vorwurf der irreführenden Werbung (Green Washing) im Raum, wenn Produkte als umweltfreundlich/ nachhaltig deklariert werden, tatsächlich aber nur ein Produktelement aus recyceltem Material besteht. Die Verunsicherung auf beiden Seiten – Herstellenden und Konsumierenden – ist groß. Daher werden in dem Forschungsprojekt auch Fragestellungen bezüglich der Aufklärung und Akzeptanz von recycelten Kunststoffen in elektronischen Produkten aufseiten der Endverbraucher*innen beleuchtet:
- Ist es empfehlenswert, die Herkunft des Materials auf dem Produkt zu kennzeichnen? Beispielsweise, wie reagieren Endverbraucher*innen, wenn sie wissen, dass das Produkt, das mit Lebensmitteln in Berührung kommt, zuvor ein Bestandteil eines Computergehäuses war.
- Schaffen generelle/unternehmensweite Aussagen von Herstellern „Unser Unternehmen ist … im Recycling“ (Scoring) oder produkt-bezogene Aussagen „Das Produkt besteht aus 20 Prozent recycelten Kunststoff“ Vertrauen bei Kunden?
Nachverfolgbarkeit und Transparenz über den Einsatz von Rezyklaten in elektronischen Produkten sind zudem für den/die Gesetzgeber*in eine wichtige Voraussetzung, um eine Quote am Markt einführen oder Strafsteuern auf den Einsatz von Primärkunststoffen erheben zu können. Derzeit lässt sich kaum bis gar nicht überprüfen, zu welchem Anteil sich Kunststoffgemische aus Rezyklaten und Primärkunststoffen zusammensetzen.
Abhilfe könnte ein Blockchain-Ansatz schaffen: Das heißt, jedes elektronische Produkt wird mit einem Token ausgestattet. In dem Token werden Informationen gespeichert, aus welchen Rohstoffen das Gerät besteht und welche Materialeigenschaften diese besitzen. So ließe sich ein Gerät gezielt in den Recyclingprozess zurückführen. Eine datengesteuerte Sortierung unter Einbeziehung von Künstlicher Intelligenz (KI) würde die Wiederaufbereitung von Kunststoffen verbessern.
Das INCREACE-Projekt wird von der Europäischen Exekutivagentur für Gesundheit und Digitales (HaDEA) der Europäischen Kommission im Rahmen des Horizon Europe Cluster 4 Programms gefördert.
Dieses Projekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizont Europa“ der Europäischen Union im Rahmen der Vereinbarung Nr. 101058487 finanziert.
Beteiligte Partner:
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung –
(Fraunhofer IZM Koordinator, Fraunhofer IVV Projektpartner), Vlaamse instelling voor technologisch onderzoek (VITO), Katholieke Universiteit Leuven – KU Leuven, Pezy Group, Plastika Skaza, Vorwerk Elektrowerke GmbH, Neste Oyj, Partners for Innovation, Mirec, Cabka Spain Sociedad Limitada, , Universiteit Maastricht, SAP SE, EGEN, Philips Electronics Nederland, Erion Compliance Organization S.c. a r.l., Cloud Selling, ETH Zürich
Das Fraunhofer IZM ist Teil des Green-ICT-Kompetenzzentrums bei der Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland („Green ICT @ FMD“) und eine zentrale Anlaufstelle für nachhaltige Elektronik.
Quellen:
1: PlasticsEurope (2019) – The Circular Economy for Plastics – A European Overview (p. 26)
2: European Commission (2018) – A European Strategy for Plastics in a Circular Economy – Annex III (1)
3: European Commission (2019) – Assessment report of the voluntary pledges under Annex III of the European Strategy for Plastics in a Circular Economy
4: PolyCE-E-book-Circular-Design-Guidelines-2.pdf (polyce-project.eu), S. 51
Circular Design Guidelines of the PolyCE project
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