Reparieren statt wegwerfen: Neues Testverfahren zur einheitlichen Bewertung der Produktlebensdauer von Elektronik

Wie lange funktioniert mein Gerät? Unter der Leitung des Fraunhofer IZM entstand in dem EU-Forschungsprojekt PROMPT ein Testverfahren zur einheitlichen Bewertung der Lebensdauer von elektronischen Konsumgütern. | © stock.adobe-Sergey Ryzhov

In den vergangenen Jahren hat der Anteil des Elektroschrotts in der EU stark zugenommen. Kurze Produktlebensdauern und eine unzureichende Aufklärung von Konsument*innen über die Reparierbarkeit der Produkte tragen dazu bei, dass viele Elektrogeräte zu früh ausrangiert werden. Die EU versucht mit neuen Reparaturrichtlinien diesem Problem entgegenzuwirken.

Aus der Forschung kommt ein weiterer Ansatz: Unter der Leitung des Fraunhofer IZM wurde in dem EU-Projekt PROMPT – »Premature Obsolescence Multi-stakeholder Product Testing Programme« – ein unabhängiges Testprogramm zur einheitlichen Bewertung der Lebensdauer von elektronischen Konsumgütern entwickelt.

Bereits 2020 landeten 4,7 Millionen Tonnen ausgedienter Elektro- und Elektronikgeräte im Müll. Ein Wert, der sich in den vergangen drei Jahren kontinuierlich erhöht hat. Ein Grund dafür ist, dass eine Reparatur oftmals teurer als ein Neukauf ist. Viele Konsument*innen sind sich außerdem nicht darüber im Klaren, warum ihre Geräte vorzeitig kaputt gehen oder wie lang ein elektronisches Gerät generell funktionieren soll. Denn die meisten Informationen, die auf dem Markt zugänglich sind, bewerten technische Aspekte, nicht jedoch die zu erwartende Lebensdauer des Produktes.

Das Ziel des PROMPT-Projektes war es, den Konsument*innen Informationen zur Langlebigkeit von elektronischen Produkten beim Kauf zur Verfügung zu stellen und eine einheitliche Bewertungsrichtlinie zu etablieren.

Die Forschenden definierten dafür drei Punkte, die das Testverfahren erfüllen muss:

  • Konkrete Beschreibung, wie man ein bestimmtes Produkt prüft und bewertet
  • Berücksichtigung von Materialzustand, Belastungen, etc.
  • Normen (z. B. EN4555X oder etablierte Prüfverfahren)

Im Fokus des Testverfahrens standen vier Produktgruppen: Fernseher, Staubsauger, Smartphones und Waschmaschinen. Als Expert*innen für Mikrotechnologie waren die Forscher*innen des Fraunhofer IZM vor allem im Bereich der Testentwicklung für kritische Subkomponenten wie wiederaufladbare Batterien (Akkus) und elektronische Steuergeräte (»ECU; Electronic Control Unit«) involviert.

Ein gutes Testverfahren muss reale Nutzungsbedingungen abbilden

Eine zentrale Frage, die sich die Forschenden bei der Entwicklung des Testverfahrens stellten, war: Wie kann man die Alterung von Produkten simulieren, so dass sie reale Lebenszyklen von Produkten abbilden?

Elektronische Produkte haben drei mögliche Fehlerzeiträume während ihres Lebenszyklus: Frühzeitige Ausfälle am Beginn des Produktlebenszyklus können meist auf eine inkorrekte Montur oder Materialschwachstellen aus der Herstellung zurückgeführt werden. Ausfälle nach Erreichen einer gewissen Nutzungs- und Lebensdauer eines elektronischen Produktes lassen hingegen auf die Abnutzung von Bauteilen schließen. In der mittleren Phase handelt es sich meist um Überlastausfälle.

Die »Badewannenkurve« beschreibt die zeitliche Wahrscheinlichkeitsverteilung, mit der Bauelemente ausfallen können. | © Fraunhofer IZM

Die »Badewannenkurve« beschreibt die zeitliche Wahrscheinlichkeitsverteilung, mit der Bauelemente ausfallen können. | © Fraunhofer IZM

Im PROMPT-Projekt wurden diese relevanten Komponenten als »Priority Parts« bezeichnet, welche auf der Norm EN 45554:2020 beruhen. Nach dieser Norm wird ein »Priority Part« anhand von drei Kriterien definiert:

  • Die Wahrscheinlichkeit, dass das Teil ersetzt oder aufgerüstet werden muss
  • Die Eignung des Teils für die Wiederverwendung
  • Die Funktionalität des Teils

Analyse von Produktgruppen: Elektronische Komponenten unter der Lupe

Ausgehend von dieser Definition begannen die Forschenden, für die vier Produktgruppen Daten zu sammeln. Für technische Fakten konnten sie auf Datenblätter der Geräte und etablierte Testreihen der Verbraucherschutzorganisationen zurückgreifen. Innerhalb des Projektes wurden jedoch auch Umfragen mit Konsument*innen durchgeführt.

»Die Umfragen lieferten Daten zu den Ausfällen der einzelnen Produktgruppen und wie häufig sie auftreten«, erklärt Daniel Hahn, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IZM. »Nehmen wir beispielsweise Waschmaschinen und Smartphones. Für Waschmaschinen gab es vor allem Probleme mit der Elektronik. Bei Smartphones wird anstelle der Elektronik eher der Akku auffällig.  In jeder Produktgruppe sorgt nur eine limitierte Anzahl an Komponenten für den Großteil der Ausfälle. Diese Schwachstellen zu identifizieren und das Testverfahren dementsprechend auszurichten, war wichtig. Denn es ermöglicht letztendlich anwendungsnahe, aussagekräftige Ergebnisse.«

Frühzeitige Alterung in der Klimakammer

Ausgehend von den gesammelten Daten war eine der größten Herausforderung die Länge der Testreihe. Dauerstresstests, wie sie z.B. in der Regel durch Verbrauchschutzorganisationen für Waschmaschinen durchgeführt werden, laufen über mehrere Monate oder sogar bis zu einem Jahr. Derartige Testreihen sind kostenintensiv und personalaufwändig und können deshalb nur in kleinem Umfang durchgeführt werden.

Sie bilden jedoch nur beschränkt die realen Nutzungszyklen der Verbraucher*innen und die reale Alterung des Produktes ab. Wie Daniel Hahn erklärt, stehen Waschmaschinen im Alltag häufig nicht, wie in Laborumgebungen, in kühlen, trockenen Räumen, sondern in Badezimmern oder Küchen. Die in den Geräten verbaute Elektronik ist dort immer wieder Feuchtigkeit und Hitze ausgesetzt. Hinzukommt, dass die Belastung nicht gleichbleibend erfolgt, sondern schubweise – im Fall der Waschmaschine ein- oder zweimal in der Woche. Dies setzt über lange Zeiträume vor allem elektronische Bauteile unter Stress und führt zu Ausfällen. Ein Fakt, der in normalen Dauerstresstests selten auffällig wird, da die Elektronik dabei unter Idealbedingungen operieren kann. Um eine genaue Aussage über die Lebensdauer der Geräte zu treffen, muss nicht nur die Belastung der Mechanik simuliert werden, sondern auch die der Elektronik.

Während bisher die Mechanik in diesem Sinne getesteten wurde, gelang es den Forscher*innen von Fraunhofer IZM und der Stiftung Warentest die Abnutzung der elektronischen Bauteile zu simulieren, indem sie diese in einer Klimakammer künstlich altern ließen.

Beispielhaft für die ECUs der Waschmaschinen bedeutete das im Testverfahren Folgendes: Der Test basiert auf den Anforderungen der DIN EN 60068 und testet das Bauteil in drei aufeinander folgenden Klimakammerdurchläufen:

  1. Temperaturlagerung (statische Temperatureinwirkung)
    Untersuchung der Degeneration der Materialeigenschaften
  2. Temperaturzyklus (dynamische Temperatureinwirkung)
    Untersuchung der Degeneration der Dichtung/Schutzschicht
    Untersuchung auf Verbindungsausfälle
  3. Luftfeuchtigkeitslagerung (Feuchtigkeitseintritt)
    Untersuchung auf Korrosion und elektrochemische Fehlermechanismen

Für die ECUs wurde eine Testreihe entwickelt, die anwendungsnahe Probleme wie Hitze und Feuchtigkeit miteinbezieht. | © Fraunhofer IZM

Definierte Testbedingungen für die ECU-Testreihe, die im PROMPT-Projekt entwickelt wurden. | © Fraunhofer IZM


Definierte Testbedingungen für die ECU-Testreihe, die im PROMPT-Projekt entwickelt wurden. | © Fraunhofer IZM

Während die statische Temperatureinwirkung bei den ECUs größtenteils vernachlässigbar war, wurden die ECUs bei der dynamischen Temperatureinwirkung bei 600 Zyklen Temperaturen zwischen -20°C bis zu 85°C mit Temperaturänderungen von 105 Kelvin ausgesetzt. Für die Luftfeuchtigkeitslagerung wurden 1200 Stunden passiver Nutzung plus ca. 900 Stunden aktiver Nutzung simuliert und bei einer Testtemperatur von 85°C und einer Luftfeuchtigkeit von 85% beobachtet.

Nach diesem Vorbild erfolgten Testreihen basierend auf bestehenden Normen für weitere Elektrobauteile, unter anderem Akkus von Smartphones. Die Generalisierung war ein weiterer Schritt des PROMPT-Projektes.

Von der Forschung zur praktischen Anwendung und Regulierung

PROMPT wurde 2023 abgeschlossen. Das entwickelte Testverfahren kann nun von Verbraucherschutzorganisationen eingesetzt werden. Doch damit ist es Olaf Wittler zufolge noch nicht getan:

»Der nächste Schritt ist, ein gemeinsames Belastungsprofil mit den Herstellern zu entwickeln, damit es einen übergreifenden Standard gibt. Das wäre nicht nur für Verbraucherorganisationen und zukünftige Forschungsprojekte nützlich, sondern würde den Konsument*innen auch den Vergleich erleichtern.«

Regulierungen oder Standards werden laut den Forschenden zukünftig ebenfalls eine stärkere Rolle spielen. Denn um definierte Aussagen über die Langlebigkeit oder Reparierbarkeit eines Produktes zu treffen, braucht es Leitlinien und Regeln für das Design und die Konstruktion für die Hersteller.

Etwas, was das Projekt gezeigt hat, ist, dass Testverfahren kostspielig und zeitaufwändig sind, um gute Ergebnisse zu liefern. Doch Olaf Wittler sieht auch dafür eine Lösung in der Zukunft:

»Mit der voranschreitenden Digitalisierung ist eine Art digitaler Zwilling des Elektrogerätes denkbar«, erklärt er. »Mit unserem Testverfahren haben wir nicht nur Aussagen über die Gründe zur frühzeitigen Alterung der Produkte erarbeitet, sondern auch Fehlerquellen identifiziert. Diese Daten könnten für einen digitalen Zwilling genutzt werden und damit die Langlebigkeit, Zuverlässigkeit und Reparierbarkeit der Produkte verbessern.«

Dr. Olaf Wittler, Fraunhofer IZM

Dr.-Ing. Olaf Wittler

Dr. Olaf Wittler studierte Physik in Paderborn, Berlin und London. Er erhielt sein Diplom 1999 und promovierte 2004 an der Technischen Universität Berlin.

Seine Berufserfahrung umfasst verschiedene Positionen bei der Robert Bosch GmbH, der TU Berlin und dem Fraunhofer IZM, wo er derzeit als leitender Wissenschaftler im Bereich »Technology Reliability Simulation« tätig ist.

Er ist Autor und Mitautor von mehr als 100 Konferenz- und Zeitschriftenbeiträgen. Er engagiert sich aktiv in der Begutachtung, in der Lehre und in der Verbandsarbeit.

2022 übernahm er den Ko-Vorsitz der ESREF, einer Konferenz zur Elektronikzuverlässigkeit in Berlin. Zu seinen aktuellen Forschungsinteressen gehören die Vorhersage von Verzug in FO-WLP-, FO-PLP- und in Leiterplatten eingebetteten Gehäusen, die Zuverlässigkeit und Alterung von HF-Gehäusen und -Materialien, fortschrittliche Schadensmodellierung in Verbindungstechnologien der Leistungselektronik sowie die Zuverlässigkeit von Substraten und Durchkontaktierungstechnologien.

Daniel Hahn, Fraunhofer IZM

Daniel Hahn

Daniel Hahn ist seit 2011 als Wissenschaftler am Fraunhofer IZM tätig. Er studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin. Durch seinen akademischen Schwerpunkt in der Mikrosystemtechnik interessiert er sich für die Zuverlässigkeit elektronischer Systeme, insbesondere die Mikrosystemtechnik, und die vielfältigen Wechselwirkungen der Technologien in diesen Systemen.

In seiner Forschung konzentriert er sich auf die Entwicklung von Verfahren für anwendungsorientierte Tests (einschließlich Themen wie Missionsprofile, Alterungsmodelle, beschleunigte Tests, Systemzuverlässigkeit und Statistik).

Katja Arnhold, Fraunhofer IZM

Katja Arnhold

Katja Arnhold ist redaktionell verantwortlich für den RealIZM-Blog des Fraunhofer IZM.

Katja hat 20 Jahre Erfahrung in der Unternehmenskommunikation und im B2B-Marketing. Sie arbeitete u.a. für zwei private Wetterdienstleister und den Weltmarktführer für alkoholische Premium-Getränke. Sie studierte Kommunikations- und Medienwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Psychologie an der Universität Leipzig, hat einen Masterabschluss und ist Mitglied im Leipziger Public Relations Studentenverband (LPRS).

Autorenprofil Enrica Theuke | © Enrica Theuke

Enrica Theuke

Enrica Theuke ist seit Mai 2023 als Werkstudentin am Fraunhofer IZM beschäftigt und Teil des RealIZM Blog-Teams. Sie unterstützt beim Verfassen von Blogartikeln, der Recherche zu verschiedensten Themen und der Vorbereitung und Durchführung von Interviews. Zurückgreifen kann sie dabei auf ihr Studium in Kulturwissenschaften und Gender Studies, dass sie zurzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin absolviert, sowie auf ihren Bachelor in Industriedesign von der Hochschule Magdeburg-Stendal.

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